: „Der Balkon war ihr letzter Ausweg“
Urteile gegen Deutsche, die Perleberger Asylbewerberheim für namibische Flüchtlinge gestürmt hatten/ Die Strafen zwischen 15 und 18 Monaten sind doppelt so hoch wie von der Staatsanwaltschaft gefordert ■ Aus Perleberg D. Johnson
Einen „Fall von Lynchjustiz“ nannte der Richter das Vorgehen einer CB- Funk-Bürgerwehr in Wittenberge Anfang Mai letzten Jahres. Fünf Männer mußten sich am Mittwoch vor dem Kreisgericht in Perleberg für ihre Beteiligung an der Erstürmung eines Wohnheims für namibische Flüchtlinge verantworten. Zwei der Namibier waren damals lebensgefährlich verletzt worden.
Für drei der Angeklagten wurde eine Strafe von einem Jahr und drei Monaten ausgesprochen, für den 48jährigen Henke ein Jahr und sechs Monate, da er mit seiner Gaspistole geschossen hatte und aktiv den Vorgang vorangetrieben hatte. Das Verfahren gegen den fünften Angeklagten, Andreas G., wurde wegen seiner mutmaßlich führenden Rolle abgetrennt. Hierzu müssen noch andere Zeugen gehört werden.
Der nächtliche Angriff, bei dem zwei der Namibier vom Balkon des vierten Stocks stürzten, konnte anhand der Aussagen der Angeklagten nur bruchstückhaft rekonstruiert werden. Über CB-Funk habe man von einer Messerstecherei mit drei Namibiern in einer Diskothek erfahren, bei der ein Deutscher verletzt worden war. In 15 bis 20 Pkws habe man sich dann auf den Weg zum Wohnheim gemacht, dort die Tür aufgebrochen und mit Messern und Gaspistolen bewaffnet das Haus gestürmt. Der 28jährige Borchardt und der 30jährige Heinemann gaben an, es sei darum gegangen, den Namibiern „einen Schrecken einzujagen“. Deutlicher wurde der 48jährige Henke. Er habe sich dem „Kommando“ angeschlossen, weil er schließlich nicht zum „Freiwild“ werden wolle. Er habe zwar nichts gegen Ausländer, aber es könne nicht angehen, daß Schwarze einen Deutschen verletzten und dann ungestraft davonkämen. Lediglich der 24jährige Schwärmer zeigte sich stellenweise erschrocken über das eigene Vorgehen. Er räumte ein, daß der Balkon wohl der letzte Ausweg für die Namibier war, dem Mob zu entkommen.
Das Ausmaß der Gewalt und Brutalität, mit der die deutschen Bürger das Haus gestürmt hatten, wurde deutlicher, als die Opfer zu Wort kamen. Von zirka 15 bis 20 Männern mit Messern und Pistolen bedroht, sahen die fünf im vierten Stock wohnenden namibischen Jugendlichen keine Chance mehr, als über den Balkon zu flüchten. Dreien gelang es, sich mit einer Wäscheleine auf den Balkon im dritten Stock abzuseilen. Der 18jährige Jona M. wurde nach eigenen Angaben über die Brüstung des Balkons gestoßen. Er lag bis vor einem Monat mit schweren Beinverletzungen im Krankenhaus. Lucas N. erwachte erst nach zwei Wochen aus dem Koma, er kann sich nicht mehr daran erinnern, wie er vom Balkon gefallen ist. Beide werden bleibende körperliche Schäden davontragen.
Richter und Schöffen entschieden sich für das doppelte Strafmaß gegenüber dem vom Staatsanwalt geforderten. Eine direkte Tatbeteiligung auf dem Balkon konnte keinem der fünf Angeklagten nachgewiesen werden. Die Anklage lautet daher auf Haus- und Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall. Der Hauptprozeß gegen vier weitere Tatbeteiligte wird am 27. Mai eröffnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen