piwik no script img

Räder im High-Tech-Glanz

■ Wie ausgefuchste Marketingfachkräfte mit der Hypersprache downhillmäßig herumbiken, beobachtete Hans-Joachim Zierke

Wie ausgefuchste Marketingfachkräfte mit der Hypersprache downhillmäßig herumbiken,

beobachtete HANS-JOACHIM ZIERKE.

M

an stelle sich vor, der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland übersetzte öffentlich das englische Wort „ultimate“ mit „ultimativ“. In Kommentarspalten ergössen sich Hohn und Spott, die Stammtisch-Bewohner hätten etwas zu lachen. Unterläuft einem Marktschreier der Fahrradindustrie der gleiche Fauxpas, findet er sich alsbald auch in den Spalten der Lohnschreiber und wird an „Biker“- Stammtischen gehorsam nachgeplappert. Wer mag da noch behaupten, diese Nation werde nicht würdig repräsentiert?

Einem solchen Volk kann man jedenfalls eine neue Kettenschaltung als „High-Tech“-Produkt verkaufen. „High-Tech“ kommt in Werbetexten deshalb so häufig vor, weil High- Tech-Computer solche Texte im High-Tech-Zeitalter mit Hilfe eines High-Tech-Zufallsgenerators allein verfassen und „High-Tech“ mit hoher Priorität programmiert wurde. Der Begriff „Technologie“ beschreibt Fertigungstechnik und Produktionsverfahren, ein „High-Tech- Fahrrad“ ist also eines, an das moderne Fertigungsverfahren angeschraubt wurden. Sicher eine sperrige Angelegenheit, und bei meinem Rad würde ich mir dies verbitten.

„Hyperglide“ wird eine spezielle Zahnform der Ritzel genannt, was nicht jeder gleich versteht. Man kommt der Sache mit der Entdeckung näher, daß im Englischen das vorangestellte „hyper-“ auch im Sinne von „übermäßig“ verwendet wird. Wenn von übermäßigem Gleiten die Rede ist, soll offensichtlich das Durchrutschen einer Kette beschrieben werden. Und siehe da, die Anwender berichten auch, daß sich bei Verwendung der „Hyperglide“- Ritzel genau dieser Zustand bisweilen schon nach wenigen tausend Kilometern einstelle. Das Versprechen der Werbung wird also eingelöst, niemand kann sich beschweren.

Noch schwieriger ist die Recherche, will man herausfinden, aus welcher Legierung eigentlich das „Flugzeugaluminium“ besteht, von dessen Einsatz die Werbefachkräfte mehrerer Firmen stolz berichten. Ich will nicht bezweifeln, daß Boeing das gleiche Material für tragende Teile verwendet. Ein Einsatzgebiet könnte beispielsweise die Bordtoilette sein.

W

enn der Kunde beim „Flugzeugaluminium“ in andächtiges Staunen verfällt, kann man ihm auch „einen Freewheel“ verkaufen (Sachs) oder Felgen, auf deren Seiten Keramik „projiziert“ wurde (Mavic), oder auch eine Schaltung mit „Lateral Operating System, welche die querlaufende Bewegung steuern“ soll (Campagnolo).

Shimano hingegen ist Marktführer und gibt sich mit solchen Minderleistungen nicht zufrieden. Deshalb wurde beim neuen XTR-Zahnkranz „die Kraftübertragung... wesentlich erhöht, da die größeren Zahnkränze an Punkten befestigt werden, die sich näher an ihrem äußeren Umkreis befinden.“ Die Schulphysik kennt keine Erklärung für diesen Geniestreich. Es ist daher zu vermuten, daß die Lösung nicht von den Ingenieuren in Osaka, sondern mitten in einem englischen Kornkreis entdeckt wurde.

Es ist ein zweifelhaftes Unterfangen, in einer deutschen Zeitung über die Vergangenheit eines japanischen Unternehmens zu schreiben, solange die Wehrwirtschaftsführer, SS- Stabsoffiziere, Zwangsarbeiterbaracken der hiesigen Konkurrenz friedlich in den Archiven schlummern. Shimano möchte aber auch bei der neu eingeführten Generation von Fahrradschalthebeln nicht von der Bezeichnung „Rapidfire Shifter“ ablassen. Wer in dieser Weise auf die Kriegsspielzeug-Assoziationen großer und kleiner Kinder setzt, sollte daran erinnert werden, daß er sich ganz im Einklang mit seiner Firmentradition befindet: Groß wurde Shimano in den dreißiger Jahren nicht durch die Qualität seiner Fahrradteile, sondern durch die seiner Granatzünder für das Menschenschlachten in der Mandschurei.

Über den sinnvollsten Schalthebel wird gestritten, seit ein anderes Thema fortfiel: Nach Jahren intensiver Forschung, die zu verschiedenen ovalen Kettenblättern mit dem Namen „Biopace“ führte, wurde letztlich die ideale Form für das Fahrrad- kettenblatt entdeckt. Die Neuentwicklung nannte man „Superglide round“, und die perfekten Eigenschaften ergeben sich dadurch, daß bei diesem Oval beide Achsen einer Ellipse gleich lang gehalten werden, zweifellos eine gute Idee.

D

amit diese Ideen unters Volk kommen, gibt es Fahrrad-Fachzeitschriften. Durch sie kann man unter anderem feststellen, ob es im Dummdeutschen „ich bin gebikt“, „ich habe gebikt“ oder „ich bin am biken gewesen“ heißen muß. Außerdem läßt sich in Erfahrung bringen, warum das eine Fahrrad anders um die Kurve fährt als das andere. Zur Erklärung solcher Phänomene gibt es geheimnisvolle Maße, die sich unter anderem „Nachlauf“ und „Gabelvorbiegung“ nennen und für alles weitere zuständig sind. Da aber ungefähr ein Viertel der Schreiber Nachlauf und Vorbiegung durcheinander werfen, kann es so wichtig wiederum auch nicht sein.

Im Piemontesischen, erzählt Umberto Eco in einem seiner Romane, gebe es den schönen Ausdruck: „Ma gavte la nata!“ Dies bedeute, erklärt er mittels seines Übersetzers: „Zieh Dir mal den Pfropfen raus!“ und beschreibe den Verdacht, da blähe sich jemand nur deshalb so heftig, weil er einen Stöpsel im Hintern trage. Schafft man Abhilfe und tut wie geheißen, schrumpft der Aufgeblähte zweifelsohne wieder zu normaler Lebensgröße — wenn auch unter erbärmlichen Begleitumständen.

Sollte Ihnen ein Fahrradteile-Hersteller neuerdings erklären wollen, er habe die Oberfläche seiner neuen Produkte nicht andersfarbig eloxiert, sondern „mit einem High- Tech-Glanz versehen“, ist dies zweifellos die angemessene Antwort: „Ma gavte la nata!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen