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Zeugin des Abgesangs

Aus der Sicht einer ehemaligen politischen Redakteurin  ■ Von Nooshabeh Amiri

Zu Beginn der Revolution war ich politische Korrespondentin der Zeitung 'Kayhan‘. Auf der Höhe der revolutionären Bewegung, als der Ayatollah Khomeini nach Paris ging, wurde ich auf meinen eigenen Vorschlag hin nach Paris geschickt. Dort interviewte ich viele unserer Politiker, die damals dort lebten, vor allem auch Abal Hassan Banisadr, der später Präsident unter Khomeini war. Sein Gerede über ein islamisches System der Ökonomie beeindruckte mich nicht, und es war klar, daß er selber auch nicht genau wußte, was das sein sollte.

In Paris war es auch, daß man mich das erstemal mit „Schwester“ ansprach, ein Wort, das im Iran überhaupt noch nicht gebräuchlich war. Außerdem sah ich auch in Paris schon Verhaltens- und Umgehensweisen, die im Keim bereits das enthielten, was später die Revolution zerstörte. Die Männer, die aus dem Iran nach Neauphle ChÛteau geflüchtet waren, verhielten sich extrem restriktiv, um so mehr mir als Frau gegenüber, außerdem der einzigen, die aus dem Iran hierhergekommen war. Dennoch war mir die Tragweite ihres Verhaltens und seiner zukünftigen Folgen damals noch nicht klar.

Wir bestiegen also das Flugzeug nach Hause, und es wurde der Flug, der später als „Flug der Revolution“ bekanntwerden sollte. Vermutlich bin ich eine der ganz wenigen Passagiere dieses Fluges, die heute noch leben, und ich besitze bis heute den Paß, in dem der Stempel für diesen Flug eingetragen ist.

Jene Tage damals waren Tage der absoluten Freiheit; man hat sie auch die „Zeit der Übergangsregierung nach Art Kerenskys“ genannt. Die Presse erlebte eine kurze Ära größtmöglicher Freiheit. Aber natürlich konnte das nicht lange anhalten. Bei der 'Kayhan‘ konnten wir schreiben, was wir wollten, aus allen möglichen Perspektiven. Sharpoor Bakhtias, der letzte Premierminister des Schahs, hatte nichts mehr unter Kontrolle, und die Übergangsregierung von Bazargan war noch nicht eingesetzt — die Freiheit war also grenzenlos.

Es war unvermeidlich, daß die Presse eine der Festungen war, die eine neue Regierung für sich beanspruchen würde. Und 'Kayhan‘ wurde dabei nicht ausgelassen. Die Zeitung wurde mit Hilfe einer der neu entstehenden Islamischen Gesellschaften übernommen. Die hatten damals eine ziemlich undurchschaubare Struktur, und ich weiß bis heute nicht, wer zu der Zeit noch in gutem Glauben handelte und wer schon nur noch auf persönliche Bereicherung aus war. Unter dem Vorwand, gegen Kommunisten kämpfen zu müssen, kamen sie ins Direktorium. Das bestand damals noch aus Repräsentanten aller politischen Gruppierungen, von Ultralinken bis zu extremen Rechten, insofern könnte man ihnen Gründe zubilligen; aber sofort kam es zu Konflikten zwischen den Mitgliedern der islamischen Gesellschaft und den extremen Linken. Mit der Einheit aus revolutionären Tagen war es schnell aus, und das Direktorium wurde von erhitzten Diskussionen dominiert.

Ich hatte gedacht, daß ich als Journalistin nach der Revolution einer strahlenden Zukunft entgegenginge, statt dessen wurde ich nur noch Zeugin des Abgesangs.

In der ersten Runde der Säuberungen verließen die Linken das Direktorium. Dann wurde nach und nach gegen einen nach dem anderen vorgegangen, und eines Tages war auch ich an der Reihe. Schon vorher hatte es böswillige Gerüchte über mich gegeben, man stellte in Frage, daß eine Frau den Imam hatte interviewen dürfen und daß sie dann auch noch diese und jene Frage an ihn zu stellen gewagt hatte, so wie ich es in Paris getan hatte. 'Kayhan‘ stand bei dieser Frage so recht auf keiner Seite, und am Ende ging ich von allein. Ich war seit meinem 20. Lebensjahr bei der Zeitung gewesen, als einzige Frau in der politischen Redaktion, und zwar zu einer Zeit großer politischer Öffnung.

Die Art von Journalismus, die jetzt auf den Plan trat, ließ mich von meinem Beruf Abstand nehmen. Ich glaube nämlich an eine Mission für Journalisten; wenn ihnen die genommen wird und sie zu Schreibern politischer Bulletins gemacht werden, verraten sie sich selbst und ihr Volk. Ich finde es ebenso unbefriedigend, zur Sprecherin nur eines Teiles der Bevölkerung werden zu sollen; unsere Aufgabe ist, allen eine Stimme zu leihen, auch Vertretern von kleinsten Minderheiten.

Als ich begriff, daß ich mit diesem Journalismus nichts zu tun haben konnte, entschied ich mich, aufzuhören. Kurze Zeit arbeitete ich für 'Time‘, konnte aber der westlichen Variante von Journalismus mit ihrer selektiven Berichterstattung auch nicht sehr viel abgewinnen. Also sah ich mich nach Alternativen um. Da ich als Kind in Kindersendungen des Radios mitgemacht hatte, wandte ich mich dorthin, um einen sicheren Arbeitsplatz zu finden, bei dem man kaum Leute verärgern kann. Ich synchronisiere die Radiostimmen von Küchenschaben, Mäusen usw., Figuren aus japanischen Zeichentrickfilmen, die seit der Revolution kiloweise importiert worden sind. Meine Stimme eignet sich ganz gut zur Synchronisation für Kinderstimmen, also mache ich das auch; die Welt der Kinder ist irgendwie gesünder. Ich bin inzwischen Chefin der Abteilung und schreibe außerdem Geschichten und Sendungen für Kinder.

Viele vergleichen heute die Situation im Iran mit der Perestroika in der Sowjetunion, aber ich denke, daß diese Analyse wenig mit der Realität zu tun hat. Was hier geschieht, in der Presse, ist wenig mehr als eine Konfrontation zwischen verschiedenen ideologischen Strömungen über diverse Regierungsmethoden. Sie tun jetzt nicht mehr so, als ob es ideologische Einigkeit darüber gäbe, und geben selbst in der Presse zu, daß die Regierung aus zwei Fraktionen besteht. Beide Fraktionen haben ihre Fürsprecher innerhalb der Medien, aber was dabei herauskommt, hat wahrhaftig nichts mit einer journalistischen Diskussion zu tun. Es ist einfach nur ein Streit über Regierungsmethoden. Ein Journalismus, wie man ihn in anderen Teilen der Welt kennt, existiert hier nicht. Man betrachtet es als einen Beruf, der weder der Qualifikation noch Erfahrung bedarf. Aus vielen historischen, geographischen und ökonomischen Gründen ist bei uns nie ein wirklicher Begriff von Freiheit entstanden. Unsere Geschichte ist unterbrochen, gestutzt worden. Populistische Bewegungen gehen aus von charismatischen einzelnen, denen der Rest in einer Art Lehrer-Schüler-Beziehung zu folgen geneigt ist. Wirkliche politische Organisation hat sich hier nicht entwickeln können, es hat hier keine Massenbewegungen gegeben, die denen des Westens ähnlich wären. Wenn es Ansätze dazu gab, so führte das entweder nicht sehr weit oder war nicht mit einem Prozeß politischer Bewußtwerdung verbunden. Die gesellschaftlichen Entwicklungen im Westen folgten einem klaren Muster, wo beispielsweise pferdegezogene Wagen zu Autos entwickelt wurden und schließlich zur Raumfahrttechnologie führten. Hier wachte man eines Morgens auf, und vor der Tür stand ein neuer Airbus, dazwischen lag kein Prozeß der wirklichen Aneignung. Es gab Mädchen hier, die trugen zwar Miniröcke und gingen in Diskos tanzen, aber ihre Mentalität war von der der Mädchen des Westens dennoch sehr verschieden. Was es hier gibt, ist importiert worden, es gehörte nicht wirklich zu uns. Ich glaube an eine ethnische Kultur. Aber es ist nun mal so, daß unser historisches Bewußtsein der Ereignisse abgeschnitten worden ist, genauso wie bestimmte Bewegungen in diesem Land gestutzt worden sind.

Unsere Historiker haben Geschichte nach den Regeln der jeweiligen Herrscher niedergeschieben, und das hat unsere Erinnerung beschädigt. Es hat uns an einem realistischen Zugang zu unserer Geschichte behindert. Eine der Folgen ist, daß wir keine großen Fähigkeiten zur historischen Forschung haben. Selbst wenn wir solche Forschungen unternehmen, so gehen sie oft nicht tief genug und sind daher nicht viel wert. Zudem gibt es nur wenige unverfälschte Quellen. Viele vergessen hier gerne das, woran sie gestern noch glühend geglaubt haben. Das hat nicht nur mit Opportunismus zu tun. Wir sind so erzogen worden, daß wir schnell vergessen und es nicht nötig haben, unsere Fehler einzugestehen. Wenn wir doch einmal dazu gezwungen werden, suchen wir den einfachsten Ausweg: einen Sündenbock. Keiner ist bereit, sich die Ereignisse in diesem Land realistisch zu vergegenwärtigen.

Früher dachte ich, daß unser Motto „Unabhängigkeit und Freiheit“ lauten sollte. Jetzt bin ich der Meinung, die Reihenfolge müßte vertauscht werden. Denn nur in einer Atmosphäre von Freiheit kann eine Nation lernen, sich selbst zu konfrontieren, mit ihren Fehlern und ihren Stärken, und sich schließlich erheben. Freiheit vor allen Dingen.

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