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Musterknaben gegen Lausebande

Borussia Dortmund — Eintracht Frankfurt 2:2/ Das hochklassige Spitzenspiel im Westfalenstadion hatte nur einen Sieger: den VfB Stuttgart/ In der Meisterschaft ist weiterhin alles offen  ■ Von Christoph Biermann

Dortmund (taz) — Noch einmal führten 15.000 Sitzplatzbesucher ihre gelb-schwarzen Kindertröten zum Mund und sorgten für einen kindlich-begeisterten Tuut-Orkan. Noch einmal flog ein weiter Ball von Michael Schulz in die Hälfte von Eintracht Frankfurt, und dann war es vorbei. Was folgte, war ein Moment ratloser Stille, ehe sich die Frankfurter Fans zum Jubel durchrangen und der Stadionsprecher seiner Absage besann.

Eine Viertelstunde später überschütteten die beiden Trainer ihre Mannschaften mit Lob und Superlativen, um dann höflich mit den Achseln zu zucken. Auch die Helden des Nachmittags kamen eher ratlos unter den Duschen hervor. Eingeklemmt im Kabinengang, gaben sie im Andrang der Reporter kund, daß sich eigentlich nichts geändert hätte. Schlußfolgerung für die Entscheidung um die Meisterschaft: Gar nichts weiß man nicht genau. Alles weiter offen.

Zwei Stunden vor dem Spiel hatte ums Westfalenstadion herum noch eine leicht konspirative Atmosphäre geherrscht. Männer mit Schnauzbärten hatten kurze Botschaften gewispert, schnell hatten sich um sie herum kleine Grüppchen gebildet. Geldscheine wechselten gegen bedruckte Zettel den Besitzer, und flugs lösten sich die Grüppchen wieder auf. Die Polizei patrouillierte ergebnislos, während sich die Preise für Stehplatzkarten auf 70 Mark zubewegten. Das vermeintliche Endspiel der Bundesliga öffnete die Geldbörsen ganz weit.

Versprach das Spiel des Ersten gegen den Zweiten neben kribbelnder Meisterschaftsdramatik doch auch einen echten Systemvergleich. Welches Konzept würde sich in der Bundesliga durchsetzen? Ein Klassenbester aus Dortmund mit sauberen Fingernägeln und ordentlichem Betragen oder diese Frankfurter, die nie ihre Hausaufgaben machen, immer zu spät kommen und trotzdem so gute Arbeiten schreiben? Eine optimal organisierte Dortmunder Mannschaft mit gelegentlichen Genie-Einsprengseln gegen einen Haufen begnadeter Frankfurter Fußballer, die allerdings die Hälfte der Zeit mit allerlei Zankereien beschäftigt sind und damit einer ganzen Armee von Fußball-Klatschkolumnisten den Lebensunterhalt sichern.

Die zudem noch einen Trainer haben, der sich daran offensichtlich nicht stört: „Die spielen doch nicht wegen Harmonie, sondern für Zuschauer, um Meisterschaft und ums Geld. Mir macht das nichts aus, wenn wir von Montag bis Mittwoch Theater haben. Von mir aus können wir noch zwei Spieler holen, damit ist Donnerstag und Freitag auch noch was los.“

Einer, der montags für Aufregung sorgt, schoß in der dritten Minute die Eintracht bereits in Führung. Tony Yeboah, immer noch im Poker um einen 800.000-Mark-Vertrag, traf aus 20 Metern in den Winkel. Der Hektiker vom Dienstag wollte zwei Minuten später nachlegen, verzog aber weit. Fast-Italiener Andy Möller fiel gegenüber seinem Mannschaftskameraden Uwe Bein ab, der auch mittwochs immer schweigt. Das ist eben der Tag von Uli Stein, der allerdings vor seinem vermeintlichen Vereinswechsel nach Irgendwo schon in der zehnten Minute den Ausgleich von Michael Zorc aus dem Netz fischen durfte. Da Frankfurt die Spieler für Donnerstag und Freitag eben noch fehlen, war danach Borussia an der Reihe, und das Spiel wurde zu einem der besten, die es in dieser Saison zu sehen gab. Von einer Viertelstunde vor der Pause abgesehen, in der plötzliches winterliches Schneetreiben die Wege der Akteure verwirrte, war alles Tempo und Spannung.

Spielerische Extraklasse hingegen war es nicht immer, dazu fehlte der verletzte Michael Rummenigge in Dortmunds Mittelfeld zu offensichtlich. Erst mit dem Umschalten auf gesteigerten Einsatz kam das Spiel des BVB richtig in Schwung. Die Führung von Gerhard Poschner hielt allerdings nur fünf Minuten, dann konnte Ralf Falkenmayer in der 55. Minute ausgleichen.

Wer über das 2:2 jubeln sollte, blieb unklar. Tiefschürfendere Analysen, schlüssige Interpretationen im Systemvergleich und abschließende Weisheiten, warum wer denn nun Meister wird, mußten ausfallen. So war es Frank Mill, die große alte Diva des Dortmunder Fußballs, der nach zwanzig Minuten Kurzeinsatz die Relationen in all dem Fragen zurechtrückte. Lässig an die Kabinentür gelehnt, blickte er sinnend über sein kariertes Jackett und gab zu Protokoll: „Fußballspielen ist zwar mein Beruf, aber ich kann Ihnen sagen: Es gibt Wichtigeres im Leben.“

Eintracht Frankfurt: Stein - Binz - Roth (75. Wolf), Bindewald - Frank Möller, Andreas Möller, Bein, Falkenmayer, Weber - Andersen (81. Sippel), Yeboah

Zuschauer: 52.600; Tore: 0:1 Yeboah (3.), 1:1 Zorc (10.), 2:1 Poschner (51.), 2:2 Falkenmayer (55.)

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