Profilierungssucht

■ Nutznießer des US-libyschen Konflikts ist der Internationale Gerichtshof

Profilierungssucht Nutznießer des US-libyschen Konflikts ist der Internationale Gerichtshof

Der UN-Sicherheitsratsbeschluß, Sanktionen gegen Libyen erst ab 15. April zu verhängen, ist im schwelenden US-libyschen Konflikt eine willkommene Atempause. Zweieinhalb Wochen bleiben noch, um eine neue Spirale der Konfrontation abzuwenden. Fraglich ist jedoch, ob eine der beiden Seiten an einem Abflauen der Spannungen ein Interesse haben kann. Für US-Präsident George Bush kann die Möglichkeit, militärische Muskeln zu zeigen, falls sein Wahlkampf in den nächsten Monaten an Adrenalinmangel leidet, nur verlockend sein. Der libysche Herrscher Gaddafi genießt demgegenüber nach langen Jahren der Isolation wieder eine einzigartige arabische Solidarität, die er kunstvoll zu nutzen weiß.

Die doppelte Lust am Risiko ist jedoch nicht die einzige Merkwürdigkeit an diesem Konflikt. Augenfälliger noch ist die Art der Verknüpfung von Völkerrecht und machtpolitischem Pragmatismus, bei der die Argumente austauschbar und die Seiten verkehrt erscheinen. Libyen stützt sich in seiner Weigerung, die beiden Lockerbie-Verdächtigen auszuliefern, auf das Völkerrecht und schaltet daher den Internationalen Gerichtshof ein. Schwieriger zu beurteilen ist die Position der USA, die rechtsstaatliche Prinzipien für sich beansprucht, tatsächlich aber mit vorrechtlichen Schlagworten wie „Vertrauen“ hantiert. Washington, mit London im Schlepptau, hat sich auf das Glatteis traditioneller nahöstlicher Schattendiplomatie begeben: Da der US-amerikanische Druck auf Israel in Sachen Nahost-Verhandlungen und Kreditverweigerungen so stark sei wie noch nie, so die unausgesprochene Quintessenz, sollte sich jetzt das „arabische Lager“ in Sachen Libyen erkenntlich zeigen. Erreicht wurde das Gegenteil — die Auferstehung einer totgesagten arabischen Einheitsfront, abzulesen an der ägyptisch-syrischen Verweigerungshaltung gegenüber Washington und an der Wiedererweckung der Arabischen Liga zum politischen Akteur. Das alles zeugt vom Ausmaß der Konzeptionslosigkeit der US-Außenpolitik. Die USA sind dabei, im Nahen Osten vom Antreiber zum Getriebenen zu werden.

Nützen kann dies letztendlich nur dem Internationalen Gerichtshof, dessen Autorität ja nur eine moralische ist. Wohl noch nie hat er es erlebt, daß die Reputation beider vor ihm stehenden Parteien so stark von seinem Urteilsspruch abhängt. Kurz nach dem Beginn der UN-Sanktionen gegen Libyen am 15. April soll dieser erfolgen — und er wird das markantere Ereignis sein. So wird hier zum ersten Mal der Sicherheitsrat von einem Justizorgan in den Schatten gestellt. Ausgerechnet diplomatische Profilierungssucht könnte den Ausschlag dazu geben, daß die Welt dem Ideal einer unabhängigen internationalen Gerichtsbarkeit ein Stück näher kommt. Dominic Johnson