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DEBATTESucht und Ordnung

■ Der Mensch hat ein Recht auf Rausch — sei es durch Alkohol oder Haschisch

Es gibt keine wissenschaftlich einwandfreien Anhaltspunkte dafür, daß der Genuß von Cannabis (Haschisch, Marihuana) zu einem Zustand physischer Süchtigkeit führen kann. Ebensowenig ist die Ansicht haltbar, daß die Einnahme von Haschisch und Marihuana einen pharmakologisch begründeten Drang zum Umsteigen auf die “harten Drogen hervorruft. Diese nicht ganz neuen, aber oft beiseite geschobenen Erkenntnisse werden nun von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestätigt.“ — Das Zitat stammt aus der 'Frankfurter Rundschau‘. Was die derzeitige Cannabis-Debatte so gespentisch macht, ist die Tatsache, daß es vor über 20 Jahren erschienen ist, am 30. November 1971. In einem Artikel, der auch die Auffassung des damaligen Leiters der WHO-Drogen-Abteilung wiedergibt, daß nämlich der Schaden, der den Haschisch-Konsumenten aus den gesellschaftlichen Maßnahmen zur Verhinderung des Konsums erwächst, „ungleich größer“ sein dürfte als ein vielleicht möglicher Schaden durch die Droge selbst.

Nun ist die Weltgesundheitsorganisation nicht irgendwer, und der Leiter ihrer Drogen-Abteilung mit einiger Sicherheit jemand, der weiß, wovon er spricht. Wie kommt es, daß ein Gerichtsurteil, das diese Erkenntnisse der WHO nach über 20 Jahren in die rechtliche Praxis umzusetzen versucht, sich vom amtierenden Bundesinnenminister „menschenverachtend und zynisch“ schimpfen lassen muß? Ist die WHO eine menschenverachtende Vereinigung, und sind Richter, die ihre Erkenntnisse ernst nehmen, Zyniker? Wohl kaum. Daß das Lübecker Urteil einen solchen Skandal macht, ist vielmehr einer Nachrichtensperre geschuldet, die es schlicht verhindert, daß Erkenntnisse wie die der internationalen Gesundheitsbehörde zur allgemein akzeptierten Selbstverständlichkeit werden. Über die Nachrichtensperre im Golfkrieg und die Problematik von Medien-Fälschung im Dienst der Militärs ist allenthalben diskutiert worden. Daß auch dem „Rauschgift“ der Krieg erklärt ist und auf medialer Ebene mit allen Mitteln der Propaganda und Desinformation geführt wird, ist indessen noch kaum in den Blick der allgemeinen Kritik geraten. Da hilft auch nicht, daß der seit einem Vierteljahrhundert offensiv geführte Drogenkrieg mehr Opfer, Elend und Folgeschäden produziert als die Bomben auf den Irak — die Propaganda-Maschine läuft perfekt. So perfekt, daß ein deutscher Minister im Bundestag nicht nur ein Gericht beleidigen kann, weil es bei seiner Urteilsfindung jahrzehntelang gesicherte medizinische Erkenntnisse berücksichtigt, sondern daß er auch noch Beifall dafür erntet — vom hohen Haus und von den Lautsprechern in den Medien. Die auch morgen wieder dabei sind, wenn Politiker unter dem Kriegsbanner „Keine Macht den Drogen“ in die Sportschau-Kamera grinsen, um sich im Medaillenglanz sportgestählter, drogenfreier Deutscher zu sonnen — während auf dem Rasen doch nur wieder die schnellste Apotheke Neubrandenburgs gewonnen hat oder das Bundesligateam mit dem „Tuborg Bier“-Trikot.

Die Nachrichtensperre im Drogenkrieg äußerst sich nicht durch das Fehlen aufregender Bilder und „Informationen“ zum Thema — kein Tag ohne neuen Drogenfund oder „Zerschlagung“ eines Dealer- Rings, und vor allem: kein Tag ohne irgendeine Leiche auf dem Bahnhofsklo — sie äußert sich in der permamenten Desinformation, daß diese Menschen „dem Heroin“ zum Opfer gefallen wären. Sie sind dem Verbot des Heroins zum Opfer gefallen, der Tatsache, daß sie zu „Einnahme und Nebenwirkungen“ nicht „ihren Arzt oder Apotheker“ fragen können, sondern allenfalls einen profitgeilen Dealer. Daß das ehemalige Bayer-Medikament „Heroin“, im Unterschied zu vielen anderen Beruhigungsmitteln, außer starken Suchterscheinungen auch im Langzeitgebrauch kaum schädliche Nebenwirkungen zeigt, weshalb es ursprünglich unter anderem als Bestandteil eines Kinderhustensafts fungierte — schon derart schlichte medizinische Fakten öffentlich zu nennen, gilt als Blasphemie und „verbrecherische Verharmlosung“. Kein Wunder, denn was heißt es, mit Heroin steinalt zu werden? Es heißt, daß die allermeisten seiner öffentlich bejammerten Opfer nicht an ihrer Sucht gestorben sind, sondern an der Ordnung, die sie untersagt. Deshalb ist auch der Entsetzensschrei, den das Lübecker Urteil bei den Drogenkriegern ausglöst hat, verständlich: das Einklagen eines „Rechts auf Rausch“ trifft exakt jene Willkür, mit der die staatliche Autorität erlaubte und unerlaubte Drogen, legale und illegale Sucht, unterscheidet.

Die Doppelmoral des Drogenkrieges

Diese Willkürherrschaft des Staats über die Rauschzustände seiner BürgerInnen kann indessen nur aufrecht erhalten werden, wenn das Dogma, daß unerlaubte Drogen dem „Reich des Bösen“ enstammen, nicht angezweifelt wird — wer heutzutage positiv von Heroin spricht, oder, wie der Pharmakologe Dr. Tashkin, nach 14 Jahren medizinischer Forschung an der University of California, Marihuana als „das Beste gegen Streß, Migräne, Depression und Appetitlosigkeit“ bezeichnet, macht sich fast so unmöglich wie jemand, der vor 50 Jahren in Deutschland Juden lobte. Bei der Bundestagswahl vor 5 Jahren fehlte im Wahlprogramm der „Grünen“ die Forderung nach Straffreiheit für Drogenkonsumenten, die auf dem Parteitag mit sehr großer Mehrheit beschlossen worden war— bei der schriftlichen Abfassung war der Punkt vorsorglich weggelassen worden, aus Angst, vom politischen Gegner als „Rauschgiftpartei“ denunziert zu werden.

Es gibt einen Ort, an dem die Doppelmoral des Drogenkriegs, das System staatlich geförderter Sucht auf der einen und an Sündenböcken exorzierter Ordnung auf der anderen Seite, täglich als lebendes Bild inszeniert wird: die Taunusanlage im „Herzen“ der Stadt Frankfurt. Auf den Bänken des Parks lassen die Parias des Heroin-Elends die Spritze mit den letzten Resten kreisen, dazwischen bahnen sich smarte Manager den Weg zu einem das Bild überragenden Spiegelpalast: der Zentrale der Deutschen Bank. Auf 500 Milliarden Dollar pro Jahr wird der Welt- Drogen-Umsatz beziffert, wieviel davon durch dieses ehrenwerte Haus fließt, läßt sich schwer schätzen, nur: daß es weiter fließen kann, dafür tragen die Banker (und ihre Profit- Sucht) schon Sorge. Eine generelle Deklarationspflicht für größere Einzahlungen liegt nicht im Geschäftsinteresse, also bleibt der Geldwaschsalon Deutschland durchgehend geöffnet — und es obliegt der Politik der Desinformation und Nachrichtensperre, diesen Zustand als gottgegeben und unabänderbar darzustellen. So wie das Sterben der Parias vor den gesicherten Toren der Konzernzentrale... und die immer süßer klingelnden Kassen der Mafia.

Der Rausch und seine Mittel sind so alt wie die Menschheit und nahezu ebenso alt ist die Geschichte der Drogenverbote. Daß die milde Naturdroge Hanf mit dem chemischen Hammer Heroin auf einer Stufe international geächtet wurde, geschah zur Opiumkonferenz 1925 auf Betreiben des Burenstaats Südafrikas, der seiner schwarzen Bevölkerung ihr „Kraut der Armen“ verbieten wollte. Nach dem Scheitern der Alkoholprohibition starteten die USA in den 30er Jahren eine Kampagne gegen Marihuana (bzw. die Schwarzen und Latinos, die es rauchten) und das damals mit Nachrichtensperre und Desinformation konstruierte „Mörder der Jugend“-Image hat sich über die UNO-Drogenkonvention von 1961, die Diskussion in den 70er Jahren bis auf den heutigen Tag gehalten. Enthysterisierung der Drogen-Diskussion ist deshalb das Gebot der Stunde — etwas so Fundamentales wie das Menschenrecht auf Rausch kann nur absolut nüchtern und nicht mit Propaganda-Phrasen und Stammtisch-Geheul verhandelt werden. Bei einer liberalisierenden Reform in Sachen Haschisch, so symbolträchtig und längst überfällig sie auch sein mag, kann es nicht bleiben — was auf der Tagesordnung steht, ist die gesamte, durch und durch gescheiterte Praxis des Drogenkriegs. Die Rauschgiftbekämpfung hat die Droge (und ihre Profiteure) zu einer Weltmacht wachsen lassen — eine Rauschgiftbegrenzung wird es erst geben, wenn „Heroin“ wieder neben „Aspirin“ steht — in jeder Apotheke. Mathias Bröckers

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