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Mindestens X-rated

■ Die amerikanischen Bands Godflesh und God spielen im Huxley's

Diese Bands nehmen dich auseinander. Eine Verrichtung, die sie auch gerne bei Musikstilen betreiben. Godflesh bestehen aus Justin Broadrick, Paul Neville und Christian Green. Broadrick war Gründungsmitglied von Napalm Death, und von daher hat er offenkundig seine Vorliebe für tiefen, widerlich beißenden Gesang — ein echter Ätzkopf.

Die Band forciert hinter ihm einen weiteren Crossover im Metal, der so konsequent bisher nicht ausformuliert wurde. Man nehme die Sounds des Death Metal, verlangsame aber die Gitarrenarbeit, lasse den Sänger ganz deathlike abkotzen und lege eine möglichst primitive Beatbox darunter, die dem Ganzen einen verbissenen Groove verleiht, der manchen Tanzboden leeren würde. Das Fundament bei Godflesh bleibt aber weiterhin Industrial, dazu setzen sie den Sampler so virtuos ein wie die Young Gods. Wenn sie auch nie deren Verspieltheit erreichen, die Härte der verwendeten Klänge stellt die Schweizer in den Schatten. Der Tekkno-Stomper würde sagen: »Ein volles Brett!« Ich sage: ernsthafte Musik von durch und durch humorlosen Menschen, aber halt auch sehr aufrichtig. Godflesh haben allerdings auch eine sehr sphärische Seite, eine, auf der die schweren Töne durch einen Raum ohne Rhythmus schweben wollen und dabei komischerweise nicht krachend auf dem Boden landen. So eine Art New- Age-Core oder Metal-Geblubber oder wasweißich.

Geradezu fröhliche Gesellen sind im Vergleich dazu God, die man nicht mit allerlei anderen Bands gleichen Namens verwechseln sollte. Auch hier ist Broadrick zugange und spielt die einzige Gitarre. Als Gastmusikant taucht schon mal John Zorn auf, woran man erkennen kann, daß God mehr in der Modern-Jazz-Szene New Yorks zu Hause sind als beim Hardcore. Begonnen hatten sie allerdings als Hardcore-Band, bis Sänger Kevin Martin auf die Idee kam, es doch mal mit Saxophonen und Klarinetten zu probieren, die fortan fest in den Gruppensound integriert wurden. Wie sich das anhört, kann man sich wenig vorstellen und eigentlich auch nicht beschreiben. Trotz der »natürlichen« Tonerzeugung stehen God dem Core näher als der Klassik oder gar Ethno, was die Instrumentierung vielleicht nahelegen könnte. Die Rhythmen sind trotz zweier Schlagzeuger sehr maßvoll eingesetzt, stampfen dumpf im Hintergrund, manchmal gibt auch schon mal ein Laute austoßender Chor den Takt vor.

Darüber hüpfen und jubilieren die Instrumente und können sich doch nicht vom zähflüssigen Grundgerüst lösen. Martins Gesang ist wie der von Broadrick in der harten Schule des Splatterrocks unserer Tage gestählt; am Neujahrsmorgen dürfte ich ähnlich geklungen haben.

Für Freunde des Außergewöhnlichen eine Begegnung der dritten oder vierten Art, für die man wahlweise einen gesunden Grundoptimismus, die richtigen Pillen oder jede Menge Sinn für Humor mitbringen sollte. X- rated mindestens, aber halt auch das, was nach der Geschwindigkeitshysterie im Metal und der Brachialklänge im Tekkno vielleicht noch kommen könnte. God und Godflesh verbinden beides und erreichen dabei ein höheres Niveau. Zumindest was Zahnarztrechnungen angeht. Thomas Winkler

Heute um 20 Uhr im Huxley's, Hasenheide 108-114, Kreuzberg.

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