Zurück zu den Mieterbeiräten

■ In der Leipziger Straße ist der Baulärm so überwältigend, daß die Bewohner erwägen, ihre Interessen mit einem Relikt aus der DDR-Zeit zu wahren/ Bundesbeamte als neue Nachbarn

Mitte. »Der Lärm ist teilweise so groß, daß einem die Fische aus dem Aquarium springen«, klagt Eva-Maria Sommer, Mieterin in der Platte Leipziger Straße 56. Die Ruhe, die vor der Maueröffnung in der sechsspurigen sozialistischen Vorzeigemeile herrschte, ist längst dahin. Bauarbeiten und Verkehrslärm, wohin Augen und Ohren reichen. Hier liegt das neue Zentrum Berlins.

Von Bauarbeiten in ihrem Wohnbereich sind vor allem die MieterInnen in den vierzehngeschossigen Bauten auf der Nordseite der Straße betroffen. Als ob Verpackungskünstler Christo am Werk gewesen wäre, sind drei Häuserblocks eingerüstet. Dahinter wohnen allerdings noch Menschen, insgesamt befinden sich dort rund 900 Mietparteien. »Ein halbes Jahr haben wir hinter diesem grünen Vorhang gelebt«, berichtet Eva-Maria Sommer, die sich inzwischen in der Berliner MieterGemeinschaft organisiert hat. »Von einem Tag auf den anderen standen die Gerüste. Erst danach wurden die Pläne über die Baumaßnahmen ausgehängt.« Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WGM) sei ihrer Informationspflicht nicht nachgekommen, die Bauarbeiten rechtzeitig anzukündigen. VermieterInnen sind gesetzlich dazu gehalten, Modernisierungen zwei Monate vor Beginn der Arbeiten bekanntzumachen. Doch inzwischen sei ein besseres Verhältnis zwischen Wohnungsbaugesellschaft und MieterInnen entstanden. Es würde mehr miteinander gesprochen, sagt sie. Die Wiederbelebung von MieterInnenbeiräten, einem DDR-Relikt, sei sogar im Gespräch.

Eva-Maria Sommer ist sich jedenfalls sicher, daß sie mit den anderen MieterInnen schon einiges erreicht hat. »Viele hatten erst geglaubt, daß die DDR-Bürger mit dem Klammerbeutel gepudert wurden«, sagt sie in Anspielung auf die Westmanager bei den Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften. Der Streit um die Installation von Wasseruhren und einer Satellitenschüssel sei inzwischen beigelegt. Jetzt aber fragt sich Eva- Maria Sommer, ob nicht unnötig Geld etwa für neue Fahrstühle ausgegeben werde.

Für den Häuserblock mit den Nummern 54 bis 58 ist die WBM zuständig. Ihr Geschäftsführer Falk Jesch rechtfertigt die umfangreichen und langwierigen Bauarbeiten: »Wir mußten die Balkone und Betonplatten komplett abdichten und sanieren. Das sind notwendige Instandhaltungsmaßnahmen.« 296 Loggien wurden mit Sandstrahl behandelt, neue Brüstungen und Abflußrohre gelegt. »Außerdem wurden die sanitären Anlagen komplett erneuert«, erklärt Jesch. Der WBM-Geschäftsführer tritt zudem Befürchtungen entgegen, daß die MieterInnen aus ihren Wohnungen wegen der inzwischen attraktiven City-Lage von sozial Bessergestellten vertrieben werden könnten. »Das ist sozialer Wohnungsbau«, sagt er, obwohl dies juristisch falsch ist, weil es nach westdeutschem Recht diesen in der DDR gar nicht gab.

Dennoch werden gutverdienende Nachbarn in die beiden anderen Blocks einziehen: Bonner Beamte. Denn die rund 600 Wohnungen in den beiden Plattenbauten mit den Hausnummern 60 bis 66 gehören dem Bund, der sie vom »Dienstleistungsamt der DDR für ausländische Vertretungen« geerbt hat. Bis heute wohnen dort Angehörige ausländischer Botschaften und Bundesbeamte. Sie machen 40 Prozent aus. Die restlichen 60 Prozent sind »Mieter vom freien Markt«, wie es Helmut John von der Oberfinanzdirektion ausdrückt. »Nur wenn jemand freiwillig auszieht, wird die Wohnung an einen Bundesbeamten vergeben«, verspricht er, auch wenn »die schon Schlange stehen«.

Eine Niederlage vor Gericht mußten die VerwalterInnen des Bundesvermögens jedoch schon hinnehmen.

»Wir wollten mehr Miete verlangen, als in der ehemaligen DDR festgelegt ist. Vor Gericht sind wir aber unterlegen«, gibt John zu. Nun kommen die Bundesbediensteten und die DiplomatInnen, genauso wie die »Mieter vom freien Markt«, in den Genuß günstiger Ostmieten: 2,55 Mark plus Betriebskosten pro Quadratmeter.

»67 Millionen Mark werden im Zeitraum von vier Jahren in die Plattenbauten investiert.« Dabei wird die Fassade renoviert und mit einer Wärmedämmung versehen. Außerdem sollen die Balkone in Wintergärten umgewandelt werden. »Betonteile waren brüchig und drohten auf die Straße zu fallen«, begründet John die Bauarbeiten. Falls den Bonner Beamten in der Leipziger Straße allerdings die Fische aus den Aquarien springen, weiß John Ersatz: Der Bund verfügt noch über 300 Einfamilienhäuser in Pankow. Stephan Balig