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17 Ordner „Kartoffelkäfer“

■ Interview mit SFB-Pressearchivar Manfred Würfel über sein Handwerk und die taz

Seit 45 Jahren verfügt der Sender Freies Berlin (SFB) über ein Pressearchiv. Die Ausschnittssammlung genießt weit über die Stadt hinaus einen guten Ruf. Täglich werden im Keller des „Haus des Rundfunks“ in der Masurenallee mehr als zwanzig überregionale und regionale Zeitungen ausgewertet. Dort arbeiten neben einer Abteilung für Mikroverfilmung ein Chef, drei „Anstreicher“, die die auszuschneidenden Artikel markieren, sowie drei „Ableger“ und eine „Kleberin“. Im Anstaltsdeutsch: Archivare und gehobene Archiv-Assistenten. Einer von ihnen ist Manfred Würfel, der 1957 beim SFB als Bote anfing und später zunächst „Kleber“ wurde. Seit 1968 ist er passionierter „Anstreicher“: Er liest die tägliche Presse durch und entscheidet über das Stichwort, unter dem die Artikel abgelegt werden.

taz: Herr Würfel, Sie bearbeiten sechs Blätter am Tag. Mögen Sie privat noch Zeitung lesen?

Manfred Würfel: Im Urlaub gar keine. Und wenn ich mal eine hole, eine Wochenendausgabe, dann lese ich alles. Da habe ich dann eine Woche lang zu tun.

Gehörten Zeitungen schon vor Ihrer Anstellung im Archiv zu Ihrer festen Lektüre?

Mein Vater hatte den 'Berliner Kurier‘ abonniert. Wenn eine Zeitung im Hause ist, dann lese ich sie auch. Damals gab es viele Artikel über Atomforschung. Als man glaubte, das Atom für die friedliche Nutzung entdeckt zu haben, da haben sie geschrieben, daß es in 20, 30 Jahren atombeheizte Straßen gäbe und wir keine Sorgen mehr mit Heizungen hätten. Da war ich so zehn Jahre alt.

Zu Ihren sechs Zeitungen gehört auch die taz...

Mehrere Redakteure haben danach verlangt. Sie kennen ja das Ost- West-Verhältnis hier in Berlin. Da hat man alle Ost-Zeitungen gehabt und wahrscheinlich gesagt, man braucht die „westlichen Ost-Zeitungen“ auch. Der Kalte Krieg lief ja auch im Rundfunk und in der Presse ab. Wir haben vor zig Jahren beispielsweise mal siebzehn Ordner „Kartoffelkäfer“ mikroverfilmen lassen. „Kartoffelkäfer“ waren eine Art Propagandamittel, mit dem der westliche den östlichen Teil angeblich kaputtmachen wollte. Zumindest behaupteten die Ostzeitungen, daß der Westen per Flugzeug Kartoffelkäfer abwerfen lasse, um die Ernten im Osten zu ruinieren. Die Ost- Zeitungen waren oft schwierig auszuwerten: Wir haben hier bei uns ja üblicherweise eine Überschrift und eine Unterzeile, die anzeigen, wovon die Geschichte handelt. Im Osten hatten sie bloß den Text und eine belanglose Überschrift. Man mußte angestrengt gucken, was drinsteckt, manchmal auch zwischen den Zeilen rauslesen, ob Honecker nun etwas für oder gegen Berlin gesagt hat. Honecker-Reden, manchmal acht Seiten im 'Neuen Deutschland‘! Die Zeitung hätte ich damals gern schon in der U-Bahn gelesen, aber man hat sich nicht getraut, in der Öffentlichkeit ein 'Neues Deutschland' aufzuschlagen. Das war schon eine komische Zeit.

Was sagt der Archivar zur jetzigen Presselandschaft im Osten?

Die 'Tribüne‘ oder der 'Morgen‘ sind eingegangen, und die Westverlage gewinnen immer mehr Marktanteil. Ich bin ziemlich begeistert von den Länderseiten der 'Neuen Zeit‘: Wenn ich mir eine von den Zeitungen kaufen müßte, wär's die 'Neue Zeit‘. Gäbe es ihn noch, dann wär's der 'Morgen‘. Viele der Artikel darin waren oder sind gut für das Archiv. Die taz würde ich nicht kaufen — das liegt wahrscheinlich daran, daß ich dafür schon zu alt bin. Ich finde aber manche Sachen darin sehr gut, zum Beispiel die Überschriften von 'dpa‘-Meldungen. Oder den Artikel über das Gestöhne im Kino bei Sex-Filmen. Da mußte ich richtig lachen. Was das „Anstreichen“ angeht, sind manche taz-Artikel etwas kompliziert: Da bespricht jemand ein Theaterstück, steigt in der Pause aus und beschreibt nur noch, wie er oder sie die nächste Kneipe in Moabit besucht. Das ist ziemlich lustig — aber ich als Archivar stehe dann da. Da hat man sich den ganzen Artikel bis zum Schluß durchlesen müssen, und dann soll man noch überlegen, von wem denn das Stück bloß ist, das da beschrieben wurde. Das ist für mich verlorene Zeit. Bei anderen Zeitungen weiß man spätestens in der zweiten Zeile, wie es heißt, wo es gespielt wird und welcher Regisseur dort was gemacht hat. Wenigstens im Ansatz wird geschrieben, daß es ein Schiller-Stück war. Das ist für mich wichtig, weil wir unter dem Autorennamen die ganzen Theatersachen ablegen.

Welche Entwicklungen und Veränderungen der taz sind Ihnen in den Jahren besonders aufgefallen?

Ich lese die taz ja nicht wörtlich durch, ich befasse mich länger nur mit den Artikeln, die ich nicht sofort einordnen kann. Die 'dpa‘-Meldungen nehme ich aus der taz nicht raus, weil andere Zeitungen die auch haben. Eine grundsätzliche Veränderung kann ich eigentlich nicht feststellen. Früher gab es in der taz mehr Umweltberichte. Die hatten die anderen Zeitungen damals nicht, nun bringt die taz die aber auch nicht mehr in dem Maße. Zu damaliger Zeit wurde die taz auch besonders dann ausgewertet, wenn über grüne Parteitage geschrieben wurde. Die taz hat sich nicht so sehr geändert, die anderen haben ihre Themen auch aufgenommen. Aber bei der taz vermisse ich im Moment ein bißchen den Angriff — und die Ideen, die woanders nicht stehen.

Die taz hat vor ungefähr einem Jahr ihr Layout umgestellt. Fällt Ihnen das Lesen jetzt leichter?

Gute Frage — aber für mich hat sich nicht viel geändert.

Auf jeden Fall muß man die Artikel nicht mehr um die Ecken ausschneiden.

Ja. Wenn man jetzt hier so hochratschen kann, ist das natürlich für unsere Kleberin, die auch ausschneidet, besser. Am besten gefällt mir die Samstags-taz. Da sind seitenlange Sachen drin, die nehme ich dann einfach so raus.

Bei der täglichen Lektüre stoßen Sie immer wieder auf dieselben Namen. Machen Sie sich eigentlich ein Bild von einzelnen Autoren, die Sie nicht persönlich kennen?

Das müssen schon Zufälle sein, daß ich mal einen Namen lese. Aber eine Vorstellung mache ich mir von den Autoren nicht. Das ist etwas anderes, wenn ich einen Roman lese. Ich kann höchstens sagen, der Artikel gefällt mir, den der oder die schreibt.

Wird denn auch mal ausgemistet?

Das machen die Mikroleute, die die Verfilmungen machen. Die Schiebe-Regale hier sind übervoll. Was Sie vor mir auf dem Schreibtisch sehen, das ist eine Tagesproduktion: Drei dicke Leitzordner voll — das können Sie ja hochrechnen. Man ist immer zufrieden, wenn man die Arbeit geschafft hat. Ich prüfe mich dabei auch selber: Da gab es einmal eine Imbißstube, noch an der Mauer, und die taz hatte einen kleinen Artikel darüber gebracht. Ich habe ihn mir dreimal durchgelesen, und dann doch nicht angestrichen. Aber der wurde dann doch von jemand gesucht. So liegt man auch mal falsch. Interview: Claudia Wahjudi

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