: Als ob nichts gewesen wäre
■ betr.: "Öffentliches Schweigen", taz vom 23.3.92
betr.: „Öffentliches Schweigen“ von Ralph Giordano, taz vom 23.3.92
[...] Da gab es ein geschlossenes ideologisches System, daß seine Wirkungen und Erfolge bis in weite Teile der Gewerkschaften, der SPD hatte ausgehend von der DKP/SEW und ihrem Umfeld. Der KB aus Hamburg hat die linksradikale Szene und die Bürgerbewegungen bis zu Grünen und Alternativen beackert. Die RAF brauchte irgendwann die Stasi und die hat bekanntlich nichts umsonst gemacht. [...]
Die Motive der SED- und Blockflötenbonzen, der Stasioffiziere sind ja noch einleuchtend. Sie hatten Macht und Privilegien zu verteidigen. Sie waren Teil eines mächtigen imperialistischen Systems, daß sich ideologisch und materiell nur hat bilden und halten können in der Auseinandersetzung erst mit dem Faschismus und dann mit dem immer agressiver werdenden US-Imperialismus.
Was aber bewog die Redakteure des „Zentralorgans“ der IG Druck und Papier in den 70er Jahren von Sibirien als mittlerem Arbeiterparadies zu schreiben? Was bewog die westdeutschen Schriftsteller dazu, einen Herrn Engelmann zum Vorsitzenden ihrer Gewerkschaft zu wählen?
Spätestens, als nach dem erfreulichen Zusammenbruch dieses Systems offen sichtbar wurde, nicht mehr als westliche Propaganda abgetan werden konnte, was eh jeder hätte wissen können, wenn er es gewollt hätte, spätestens dann war es doch wohl an der Zeit, sich öffentlich zu fragen, wem man warum so lange so vortrefflich gedient hat.
Doch alle, mit Ausnahme derer, denen allzu enge Kontakte mit der Stasi vorgeworfen werden, tun doch so als ob nichts gewesen wäre.
Da hat doch die PDS wenigstens so getan, als übte sie Selbstkritik.
Nicht daß mir diese GenossInnen spätestens seit 1968 je symphatisch waren. Wann immer ich mit ihrem Wirken, sei es in der Gewerkschaft, sei es in der Friedensbewegung, in der linksautonomen Szene Berlins, in der Alternativen Liste Berlins, konfrontiert war, hat mich ihre heuchlerische, undemokratische nach Macht und Posten strebende Art, angeekelt.
Ihr Schweigen nachdem niemand mehr behaupten konnte, er hätte nichts gewußt, übertrifft an abgebrühter Widerlichkeit alles Vorangegangene.
Wer immer von denen weiter behaupten will, er sei demokratisch und links und weiter Politik machen will, der soll doch bitte sagen, welcher Art die Stricke waren, die ihn an dieses System gebunden haben, sonst trägt er weiter dazu bei, daß sich eine glaubwürdige LInke nicht nur in diesem Land sich nicht wird entwickeln können.
Bleibt nur noch zu fragen, warum die Gewerkschaften mit diesen „linken“ paktiert haben bei gleichzeitigem Bestehen eines Unvereinbarkeitsbeschlusses mit den ML-Parteien (wobei ich deren und auch mein Verhältnis zum Stalinismus mit dem an Mao angelehnten „Hauptseite gut, Nebenseite schlecht“ in seiner ideologischen Verkürztheit nicht beschönigen will).
Gab es keinen anderen Teamer für die Nachwuchsarbeit?
Warum die Alternative Liste in Berlin? Gab es keinen anderen Bündnispartner bei der Herausdrängung der basisdemokratischen und systemoppositionellen Linken?
Warum die Schriftsteller? Fanden sie es so toll, daß in der DDR die Künstler so gut vom Staat versorgt wurden, daß man das Leid und die Verfolgung der paar unangepaßten ruhig übersehen konnte? [...] Hilmar Budde, W-Berlin
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