: „Rotes Quecksilber“ aus Bulgarien
■ Hochbrisante Substanz für Atombomben in Sofia verdealt/ Material selbst offenbar nicht radioaktiv/ auch als Anti-Radar-Haut für Flieger geeignet/ Handel von russischer Mafia kontrolliert?
Sofia/Berlin (taz) — Seit Monaten tauchen in ganz Europa kleinere Mengen einer geheimnisumwitterten Substanz namens „rotes Quecksilber“ auf. Haupthandelsplatz für das Material ist offenbar die bulgarische Hauptstadt Sofia. Dort soll schon seit Sommer 1991 ein regelrechter Schwarzmarkt für die Substanz existieren.
Hatte zunächst die staatliche bulgarische Nachrichtenagentur BTA berichtet, „rotes Quecksilber“ sei radioaktiv und hochgiftig, so scheint nach übereinstimmenden Berichten westlicher Wissenschaftler und bulgarischer Behörden inzwischen klar, daß es sich bei dem Stoff „nur“ um eine vielseitige, aber gefährliche Chemikalie handelt. Janko Janew, Chef der bulgarischen Atombehörde, der das Zeug selbst in Augenschein genommen hat, vermutet eine Mischung aus Quecksilber und Tellurium.
Das „rote Quecksilber“ dient nach Auskunft von Wissenschaftler als chemischer Detonator zur Komplettierung atomarer Sprenköpfe genauso wie zur Sonderbeschichtung von Kampfflugzeugen, um sie für den Radar unsichtbar zu machen. Daneben finden sich auch ganz zivile Verwendungen, wie die Veredelung von Parfümerie- und Kosmetikprodukten und die Verarbeitung von Rauschgift. Da es nicht auf der schwarzen Liste der Internationalen Atomenergiebehörde steht, sind Polizei und Atombehörden eines Landes, in dem das Material auftaucht, nicht zur Offenlegung verpflichtet.
Der Rüstungsschwarzmarkt im Osten blüht: Kurz vor Weihnachten 1991 nahm die bulgarische Polizei im Donaustädtchen Silistra, an der Grenze nach Rumänien, drei Russen fest. Sie sollen versucht haben, einige Kilo „rotes Quecksilber“ nach Rumänien zu schmuggeln. Nachdem sie in Bulgarien zwei Monate lang vergeblich auf einen Käufer gewartet hatten, wollten die Russen das „rote Quecksilber“ in die Schweiz weiterverschieben, hieß es.
Eine Woche später nahm die Polizei in der Schwarzmeerstadt Burgas den bulgarischen Geheimdienstoffizier Georgi Pawlow fest. Er soll nach Ausssagen der festgenommenen Russen beim Schmuggel des Materials aus der UdSSR über Bulgarien in die Türkei und den Nahen Osten behilflich gewesen sein. Der Staatssicherheitsoffizier habe über hervorragende Kontakte an den Grenzstationen verfügt, hieß es.
Weil das Material ungeheuer rar und gleichzeitig militärisch verwendbar ist, ist der Preis inzwischen in astronomische Höhen gestiegen. Bulgarische Experten nehmen an, daß die eigentlichen Produzenten inzwischen rund 180.000 Dollar pro Kilo kassieren, während die Endkonsumenten ein halbe Million Dollar oder mehr für jedes Kilo bezahlen. Auch der britische Rüstungsexperte Jonathan Eyal bestätigt, daß das heiße Material beim Bau sowjetischer Atombomben Verwendung gefunden hat. Der Schwarzmarkt für „rotes Quecksilber“ sei inzwischen immens gewachsen, „und es gibt viele Käufer, die bereit sind, Millionen zu zahlen“.
Berichte, die wegen der bulgarischen Verfassungskrise im Sommer vergangenen Jahres nur wenig Beachtung fanden, bekommen jetzt eine neue Brisanz. Mit dem Anliegen, rund 1.000 Kilo „roten Quecksilbers“ kaufen zu wollen, soll sich damals eine bulgarische Firma an die „Sonderkommission der Regierung zur Regelung und Kontrolle von Produktion und Handel mit militärischen Sonderprodukten“ gewandt haben. Die Firma, die angeblich von Schweizer Finanziers Rückendeckung erhielt, soll bereit gewesen sein, 300.000 US-Dollar pro Kilo plus eines zwanzigprozentigen Inflationszuschlags zu zahlen, Nach Angaben der bulgarischen Zeitung „Delowi swjat“ scheiterte das Geschäft daran, daß es soviel „rotes Quecksilber“ in Bulgarien nicht mehr gab und die UdSSR zu der Zeit den Export bereits gestoppt habe.
Die bulgarische Zeitung '24Stunden‘ vermutet, daß große Teile der brisanten Ware inzwischen über Kanäle der russischen Mafia verschoben werden — dabei sei es keineswegs ausgeschlossen, daß ehemalige Geheimdienstmitarbeiter in die Schiebereien verwickelt seien. Ralf Petrov/
Hermann-Josef Tenhagen
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