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Ein Deutschland — zwei Hauptstädte

■ Es wird immer deutlicher: Bonner Ministeriale und Bürokraten wollen sich viel Zeit lassen mit dem Umzug nach Berlin/ Diepgen wird langsam sauer/ Bonn klebt an liebgewordenen Privilegien

Bonn (dpa) — Der Berlin-Beschluß des Bundestages und die Debatte über dieses gigantische Zukunftswerk, das die deutsche Einheit vollenden und in den neuen Bundesländern als Signal für den Aufbau verstanden werden sollte, sind längst Geschichte geworden. Die Realpolitik hat Berlin- wie Bonn-Befürworter eingeholt und die Entscheidung, den Sitz des Parlaments in vier Jahren in die Spree-Metropole zu verlegen, gegenstandslos gemacht. Verläßliche Umzugspläne haben bisher weder Kommissionen noch Arbeitsstäbe vorzuweisen.

Eine Revision des historischen Votums vom 20. Juni vergangenen Jahres kommt gleichwohl nicht in Betracht. „Wir haben uns entschieden, und zu dieser Meinung müssen wir stehen“, hat Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) wiederholt betont. Bauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) meint, es werde mindestens acht Jahre dauern, bis der Reichstag „entkernt“ und zu einem funktionsfähigen Parlament — mit oder ohne Kuppel — umgebaut ist. Im Puzzle um Macht und Ministerien zeichnet sich immer deutlicher ab, daß Bonn und Berlin bis weit ins nächste Jahrtausend hinein als Tandem fungieren werden.

Der Berlin-Befürworter und Altbundeskanzler Willy Brandt (SPD) sowie die Finanzexperten der großen Fraktionen haben am Wochenende dafür plädiert, den Umzug zu verschieben. Brandt wie der CDU/ CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble, dessen Pro-Berlin- Rede damals als ausschlaggebend gewertet wurde, wollen den Zeitplan überdenken. Ein paar Jahre früher oder später falle wohl nicht ins Gewicht, so Schäuble jetzt. Und CSU- Generalsekretär Erwin Huber meinte in einem Zeitungsinterview, er wolle den Beschluß über den Regierungsumzug „jetzt nicht aufheben, aber man sollte ihn strecken“.

Der sich abzeichnende Sinneswandel stößt in Berlin auf Widerstand: Bundestag und Regierung gehörten auch dann nach Berlin, „wenn hier noch nicht allles unter Dach und Fach ist“, bekräftigte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen gestern. Über die Kosten für die neuen Ansprüche in Berlin und das eifersüchtige Wachen Bonns über liebgewordene Privilegien wird offiziell mit keiner Silbe gesprochen. In Pressezirkeln machte jüngst eine in dem Szeneblatt 'Bonner Illustrierte‘ zitierte Schätzung des Haushaltsausschuß-Vorsitzenden Rudi Walther (SPD) die Runde, die von etwa 50 Milliarden Mark ausgeht.

Dazu kommen dreistellige Milliardenbeträge für die deutsche Einheit und unabsehbare finanzielle Belastungen für die Unterstützung der einstigen Ostblockstaaten. Bis an welche Grenze die Bürger bereit sein werden, Wohlstandsverluste für diese immensen Aufgaben in Kauf zu nehmen, muß sich erst noch zeigen.

Das langfristige Zusammenspiel zwischen alter und neuer Hauptstadt wird auch aus einem Zwischenbericht des von Staatssekretär Franz Kroppenstedt geleiteten Arbeitsstabes deutlich: Danach sollen zehn Ministerien komplett in Bonn bleiben und acht Ressorts nach Berlin übersiedeln. Der Großteil der Bereiche Bildung, Wissenschaft, Kultur, Forschung und Technologie werden ebenso weiter am Rhein residieren wie die für Umwelt, Gesundheit, Landwirtschaft, Entwicklungspolitik und Verteidigung zuständigen Ministerien. Bonn soll nach dem Willen von Helmut Kohl entgegen der ursprünglichen Idee nicht nur eine verwaltende, sondern auch eine politische Funktion haben.

Am Noch-Regierungssitz Bonn verstreichen die Fristen. Die Planungen, den Bundestag am 30. Juni Beschlüsse fassen zu lassen, sind über den Haufen geworfen worden. Indessen ist in Bonn der Himmel mit Baukränen verstellt: In unmittelbarer Nähe des Kanzleramts entstehen zwei neue Museen und die Parteizentrale der FDP. Neben dem Bundestagsprovisorium des Wasserwerks strebt der neue Plenarsaal langsam seiner Vollendung entgegen. In der Nachbarschaft des Abgeordnetenhochhauses „Langer Eugen“ füllt sich für mehrere hundert Millionen Mark Baukosten das riesige Loch des Bundestags-Erweiterungsbaus. Für viele der rund 21.000 Bundesbediensteten kann der Umzug gar nicht lange genug dauern: Mit ihrer Pensionierung wären sie aus dem Schneider.

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