: Stoltenberg feuert seinen Beamten
Erwartungsgemäß versucht der Bundesverteidigungsminister andere für sich büßen zu lassen/ SPD kritisiert auch Rolle Genschers in der Panzeraffäre gegenüber der Türkei ■ Aus Bonn Andreas Zumach
Bundesverteidigungsminister Stoltenberg versucht, die Affäre um die illegalen Panzerlieferungen an die Türkei mit einem Bauernopfer zu beenden. Vor der Presse verkündete der Minister gestern, der Leiter der Hauptabteilung Rüstung der Hardthöhe, Ministerialdirektor Wolfgang Ruppelt habe die „uneingeschränkte Verantwortung“ für die in Mißachtung des Parlaments erfolgten Lieferungen übernommen. Stoltenberg will dem Bundespräsidenten die Versetzung des 60jährigen Ruppelt in den einstweiligen Ruhestand vorschlagen. Die SPD bleibt bei ihrer Forderung nach dem Rücktritt Stoltenbergs. Über diese Frage wird der Bundestag am Donnerstag auf einer Sondersitzung diskutieren. Zunehmend unter Kritik gerät in Bonn auch die Türkeipolitik von Bundesaußenminister Genscher und die Rolle, die sein Ministerium in der Waffenlieferungsaffäre spielt. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karsten Voigt, warf Genscher in einem Interview mit der taz eine „unverantwortliche Schaukelpolitik“ vor.
Im November letzten Jahres, als die Lage in der Türkei kaum besser gewesen sei als heute, habe sich der Bundesaußenminister noch aus außenpolitischen Erwägungen für die Panzerlieferungen an Ankara eingesetzt. Inzwischen habe sich Genscher aus „innenpolitischem Opportunismus“ an die Spitze derer begeben, die eine Einstellung der Rüstungsexporte in die Türkei forderten. Damit sei Genscher hauptverantwortlich für die „schwere Belastung“ der deutsch-türkischen Beziehungen.
Am 7. November letzten Jahres beschloß der Haushaltsausschuß des Bundestages „einvernehmlich“, wegen des Vorgehens türkischer Sicherheitskräfte gegen die kurdische Zivilbevölkerung, 25 Millionen Mark Rüstungssonderhilfe zu sperren sowie die Ankara zugesagten 15 Leopard-I-Panzer nicht auszuliefern. In Anwesenheit von Ruppelt und weiteren Spitzenbeamten der Hardthöhe erklärte Stoltenbergs parlamentarischer Staatssekretär, Ottfried Hennig, vor dem Ausschuß, das Ministerium werde „diesen Beschluß in keiner Weise unterlaufen“. Laut Stoltenberg stellte dieser Vorgang eine „eindeutige Weisung“ Hennigs an Ruppelt da, die dieser nicht umgesetzt habe. Stoltenberg bestätigte, daß außer dieser Äußerung Hennings zu keinem Zeitpunkt eine mündliche oder schriftliche Weisung an Ruppelt erfolgt sei. Auf Nachfrage konnte Stoltenberg sich gestern an keinen Fall erinnern, in dem Weisungen lediglich durch Erklärungen der politischen Führung des Ministeriums vor dem Parlament erfolgten. Stoltenberg nannte Ruppelt einerseits einen „sehr erfahrenen Beamten“, hielt es jedoch andererseits für „ausgeschlossen, daß etwas anderes als Schlamperei“ der Grund für das „Versäumnis“ des Ministerialdirektors gewesen sei. In seinem Gespräch mit Stoltenberg gestern morgen verwies Ruppelt auch auf den kurz vor dem 7. November an ihn gerichteten Vermerk des politischen Direktors im Außenministerium, Chroborg. Darin warnt Chroborg, ein engster Vertrauter Genschers und dessen ehemaliger Sprecher, vor einer „Suspendierung“ der „völkerrechtlich verbindlich“ vereinbarten Panzerlieferungen an die Türkei. Laut Stoltenberg sei trotz dieser Beurteilung aus dem AA der Beschluß des Haushaltsausschusses, die Panzer nicht zu liefern, verbindlich gewesen.
Stoltenberg bejahte zwar seine „Verantwortung als Minister für den gesamten Geschäftsbereich des Ministeriums“, sah gestern jedoch keinen Grund für persönliche Konsequenzen. Auf mehrfache Fragen nach seinem Rücktritt antwortete er allerdings ausweichend und verwies auf noch anstehende Gespräche in der Regierung. In Bonn wurde gestern nicht mehr ausgeschlossen, daß Bundeskanzler Kohl den schwer angeschlagenen Stoltenberg zwar noch bis zur Landtagswahl am nächsten Sonntag hält, ihn aber möglicherweise noch vor der für Ende 92 vorgesehenen Kabinettsumbildung ablöst. FDP-Fraktionschef Solms forderte auch eine Neuorganisation des Verteidigungsministeriums, durch die Eigenmächtigkeiten der Militärs ausgeschlossen werden sollen.
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