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Kloppereien um Walesa

■ Eine Gardinenpredigt aus gegebenem Anlaß

So einen Medienauftrieb hat Bremen lange nicht erlebt. Sonst eher am Rande des öffentlichen Interesses, stand die Hansestadt gestern im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Der Präsident der Republik Polen war zu Besuch, und fast alle, alle sind gekommen. Wie groß war die Ehre, die sich unsere geliebte kleine Stadt von der Visite erhoffte. Wieviel größer jedoch war das Entsetzen über das, was geschah.

Als Lech Walesa und seine Frau Danuta mit dem Troß ihrer BegleiterInnen am gestrigen Nachmittag der Luftwaffenmaschine entstiegen, spielten sich auf dem Rollfeld Momente des Grauens ab. „Homo homini lupus“, wie der Lateiner schon so treffend bemerkte. Einer ist des anderen Wolf. Wie sie sich schoben und drückten, die KollegInnen von der Fotobranche. Nicht etwa, um sich zu herzen und zu kosen, obwohl die Nähe der Körper im ein oder anderen Falle dies unbemerkt zugelassen haben mag. Die Wahrheit ist grausam: für kurze Minuten, die einigen zu Ewigkeiten geworden sein mögen, wurde die Rollbahn des gemütlichen Bremer Flughäfchens zum sozialdarwinistischen Testlabor. Da rammten Ell- in Rippenbogen, da legten sich Kabelstränge wie Würgeschlangen um die Hälse der Bedrängten wie der Bedränger, da zog so manche Nikon oder Canon den Scheitel des Vordermannes nach, ohne daß dieser darum gebeten hätte.

Wozu die Hast? Wozu die Pein? „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach, wir Armen!“ Deutsche Klassik, immer wieder ein Erlebnis. Goethe, Faust, wie wohl gesprochen vom alten Meister. Die Armen taten ihnen weh, so weh, den KollegInnen FotografInnen. Immer die Kameras in die Höh. Und warum? Des schnöden Mammons galt all ihr Streben und Trachten. So nah wie eben möglich an den Gast aus dem Osten zu kommen, dafür fielen Hemmungen und Anstand. Die Taler für die flotteste, die schönste, ungewöhnlichste Ablichtung des präsidialen Elektrikers, darum gings. Ruhm und Ehre, wie vergänglich das alles. Die Taler hörten sie schon lustig in der Tasche klimpern. Was ist dagegen der Schmerzensschrei des Nächsten, dem erst die Elle, dann das Auge bricht. Nein, so weit ging es nicht, aber fast.

Haltet ein, KollegInnen, hätte man ihnen zurufen mögen. Haltet ein! Und das nicht allein auf dem Rollfeld. Kaum anders war es, als der polnische und der hanseatische Präsident nebst ihren Gattinnen den Rundgang durch die Altstadt beginnen wollten. Es muß auch frisches FotografInnenblut gewesen sein, was da zum Einsatz kam. Wer nennt die Namen derer, die am Flughafen zurückgeblieben waren.

Halten wir Einkehr. Lohnt es, Brüder und Schwestern FotografInnen. Du sollst Dir kein Bildnis machen, heißt es schon in der Heiligen Schrift. Gibt es denn nicht schon Fotos von Walesa? Na also. Geht in Euch, lernt schreiben oder ein ehrbares Handwerk und laßt ab von Eurem schändlichen Tun! J.G.

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