: Gauck-Unterlagen sind kein Beweis
■ Der vom Senat wegen angeblicher IM-Tätigkeit geschaßte Rektor der Humboldt-Uni, Fink, muß als Hochschullehrer weiter beschäftigt werden
Berlin. Die Stasi-Unterlagen der Gauck-Behörde sind keine beweiskräftigen Urkunden, mit denen eine Kündigung gerechtfertigt werden kann. Mit diesem aufsehenerregenden Urteil erklärte gestern die 64. Kammer des Arbeitsgerichts die Kündigung des früheren Rektors der Humboldt-Universität, Heinrich Fink, für unwirksam. Fink war im November letzten Jahres fristlos entlassen worden wegen angeblicher Stasi-Mitarbeit. Gleichzeitig entschied das Gericht, daß Fink bis zur Rechtskraft des Urteils als Hochschullehrer weiterbeschäftigt werden muß. Ein Mitarbeiter der Gauck- Behörde, der den Prozeß beobachtet hatte, befürchtete, daß nach diesem Urteil niemand mehr zugegeben wird, Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein. Die entscheidende Frage des Prozesses war, hat Fink davon gewußt, daß er seit 1969 von der Abteilung XX/4 des Ministeriums für Staatssicherheit als IM geführt worden war oder nicht?
Die Personalkommission der Humboldt-Universiät unter Vorsitz von Wissenschaftssenator Manfred Erhardt hatte die fristlose Kündigung im November damit begründet, daß in der Gauck-Behörde Karteikarten aufgetaucht waren, aus denen sich eine IM-Tätigkeit Finks ergebe. Die Hauptakten Finks, der unter dem Decknamen »Heiner« geführt worden war, sind am 4. Dezember 1989 gelöscht worden. Fink, der früher Leiter der Sektion Theologie war und nach der Wende zum Rektor der Uni berufen wurde, bestritt verhement »wissentlich« für die Stasi gearbeitet zu haben. Sein Rechtsanwalt Lutz Seybold trug im Prozeß vor, daß sein Mandant ohne sein »Wissen oder Wollen« von der Stasi als »Informationsquelle abgeschöpft« worden sei. Der Rechtsvertreter der Humboldt- Universität, Thomas Kunze, legte dem Gericht gestern verschiedene Unterlagen vor, bei denen es sich zum Teil um handschriftlich angefertigte Berichte von Führungsoffizieren handelte. In den Berichten war von einem IM namens Heiner die Rede, der wegen guter Zusammenarbeit im Herbst 1969 zum Beispiel in den kirchlichen Studentenbund in Genf »eingebaut« worden sei.
Der Joker, mit dem Kunze gestern aufwartete, war jedoch ein maschinengeschriebenes Formular des Leiters der Abteilung XX/4 vom 1. November 1989, das erst wenige Tage vor Beginn des Prozesses aufgetaucht war. Darin schlug der Abteilungsleiter Wiegand vor, den IM Heiner für seine 20jährige Mitarbeit mit 500 Mark auszuzeichnen, weil dieser »großen Anteil an der Herausbildung eines eigenständigen kirchlichen Friedensengagements« habe. Bis dato unbekannt war auch ein Bericht, aus dem hervorgeht, daß der IM Heiner zusammen mit einem »Sekretär« — Deckname für Stolpe — sowie weiteren Personen zwischen 1980 und 86 eine konspirative Wohnung in Pankow frequentiert habe.
Das Arbeitsgericht wertete die Unterlagen der Gauck-Behörde gestern zwar als Indizien dafür, daß »da etwas gewesen ist«. Trotzdem sei die Annahme »nicht zwingend«, daß Fink ein IM gewesen sei. Die Unterlagen der Gauck-Behörde seien kein zulässiges Beweismittel im Sinne der Zivilprozeßordnung, weil es sich hier um keine öffentlichen Urkunden handele. Ein Beweis hätte nur durch »Heiners« Führungsoffiziere selbst erbracht werden können. Diese aber waren von dem Rechtsvertreter der Humboldt-Uni Kunze bewußt nicht als Zeugen benannt worden. Kunze hatte dies damit begründet, daß die Führungsoffiziere ohnehin nicht die Wahrheit sagen würden, um ihre frühere Quelle Heiner zu decken. Der Arbeitsrichter bezeichnte es als Widerspruch, daß Kunze einerseits den schriftlichen Berichten der MfS- Leute vollen Glauben schenke, ihre persönlichen Aussagen jedoch für unglaubwürdig halte. Es sei sicherlich schwierig, den Geheimdienstlern die Wahrheit zu entlocken, so der Richter, aber auf einen Versuch hätte man es ankommen lassen müssen.
Auch den Hinweis von Kunze, das MfS »war eine höchst genau arbeitende Behörde«, überzeugte das Arbeitsgericht nicht: »In der Regel werden Regeln mißachtet.« Auch die Vernichtung von Finks Akte sei kein stichhaltiger Beweis, weil Opferakten ebenfalls vernichtet worden seien. plu
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