Der Taschenspielertrick mit der "Supranationalen Verantwortung"

■ betr.: "Der einzige Weg", Kommentar von Götz Aly, taz vom 27.3.92

betr.:„Der einzige Weg“, Kommentar von Götz Aly,

taz vom 27.3.92

Oft spricht Götz Aly das treffende — und für taz-Leser besonders angebrachte — Wort, das Dinge sichtbar macht, das das linke eingeübte Lagerdenken partout nicht wahrhaben will.

Aber fast ebenso oft spricht Aly nicht die Sprache der politischen Besinnung, sondern die des moralistischen Richtens und Ausrichtens, die über das Politische und Geschichtliche spricht.

Er leistet sich damit die etwas billige Befriedigung, wissen zu können, daß er per se auf die moralisch höherwertige Seite der Menschen gehört. Für die Logik dieser Sprache ist es dann auch selbstverständlich, daß die Menschen in den Konstellationen: „Nach 1933“ und „DDR“ eindeutig und sauber in die Kategorien von „Opfer“ und „Täter“ sortierbar sind.

In dieser Sprache ist auch der sich vernünftig-politisch gebender Kommentar „Der einzige Weg“ („Die Entwicklung einer Politik supranationaler Verantwortung ist ohne Alternative“) geschrieben.

In der Tat: Was kann es Vernünftigeres geben als diesen „einzigen Weg“ angesichts von Fakten wie der Meilerstörfall bei Leningrad, die neue Libyenaffäre, das Weiterexistieren von „Zerstörungspotentialen“ im Irak, Berg-Karabach und die Kurdenrepression in der Türkei? Die Sprache aber, in der diese Fakten und Situationen in einer bestimmten Hinsicht „gleichgemacht“ werden, operiert mit einem Taschenspielertrick. Wir kennen ihn vom Golfkrieg her.

Wurde damals das „Ja“ auf die Frage: „Wollt ihr den moralischen Polizeikrieg?“ in die Zustimmung zur Degradierung der UNO zum Befehlsempfänger der „Heiligen Allianz“ und ihrer politischen (und eminent „modernen“, nämlich präventiv maximalsichernden) Kriegsführung umgemünzt, so vernebelt heute die Frage: „Wollt ihr die — auch gewaltmäßig eingreifende — „supranationale Verantwortung“ in Atom-Ökologie- und Menschenrechtsfragen? die abgründigen Differenzen zwischen „Eingriff“ und „Eingriff“ sowie in bezug auf die von Aly als eindeutig zweitrangige Frage behandelte Souverenitätsfrage. (Hinter der gespielten Naivität, mit der diese Fragen oft so behandelt werden als gelte allgemein die Einfachformel: „Je supranationaler desto besser“, steckt natürlich eine agressiv-defensive Spitze: die konkrete, geschichtliche Verknüpfung zwischen dem Demokratischen und dem National-Volkssouveränen wirft ein mehrdeutiges Licht auf das Universalistisch-Moralische und auf seine vordemokratisch-politischen Entstehungskontexte.)

Alys Taschenspielertrick stellt dann nicht nur alle Interventionen im Namen der „Verantwortung“ unter einen Hut: Er will auch das „Ja“ zu dieser Verantwortung in ein „Ja“ zu der generellen Art, in der diese „intervenierende Verantwortung“ vor sich geht, ummünzen. Und noch weiter: Die Logik, der sich Aly überläßt, fordert dann auch: Die Art und Weise der vor sich gehenden „Verantwortungsentwicklung“ ist „alternativlos“. Dabei merkt Aly nicht einmal, daß das „Auslassen“ Jugoslawiens aus dieser „Verantwortungslogik“ kein ganz zufälliges „Scheitern“ derselben war. So kommt auch hier letzlich jene Alternativlosigkeit heraus, die für die Verflachung des moralistischen Handelns charakteristisch ist. (Da „moralisch-unmoralisch“ keine Alternativen sind.)

Aly bezahlt — wie viele andere mit ihm — seine Befreiung vom „linken Lagerdenken“ mit einem gravierenden Maß von Abdankung vom eminent politischem Denken.

Wenn irgend etwas heutzutage „unverantwortlich“ ist, so ist es das Maß dieser — nicht nur bei Aly zu beobachtenden — Abdankung. „Heutzutage“, das heißt: in einer Zeit, in der sich die Anfänge einer „krisensteuernden“ „planetarischen“ überstaatlichen „Interventionssouverenität“ (mit Nulldemokratie dahinter) ebenso abzeichnen, wie die rein reaktiv-politischen Antworten, die diese — nach ihrer Legitimität erschwindelte — Souveränität schon hervorgerufen hat und weiterhin hervorrufen wird. Zoltan Szankay (Dozent in Bremen, Mitglied der Grünen)