QUERSPALTE: Doppeldenk
■ Leben im „Dualen System Deutschland“
Wer hätte sich nach dem 3. Oktober 1991 schon träumen lassen, so bald wieder in einem „Dualen System Deutschland“ (DSD) leben zu dürfen? Kaum jemand. Und auch jetzt werden viele — der historischen Einschnitte, Augenblicke und Stichtage müde — nicht begreifen, daß wir schon wieder Wende haben. Sie mögen einen ersten April nicht recht ernst nehmen und sollten es doch tun: denn wer vor lauter grüner Punkte die Verpackung nicht mehr sieht, dem wird Kauf für Kauf die Müllsteuer aufgeschlagen.
Seit gestern geht es zurück in die Zukunft. Mindestens bis 1984, zu Herrn Orwells dualem Doppeldenksystem. Hätte es auf dessen Zukunftsglobus auch nur einen Minister gegeben, der den Verpackungswahnsinn mittels aufgedruckter Farbkleckse verschlimmbessert und die Müll-Lawine zum galoppieren gebracht hätte, Orwell hätte ihn Minister für Umwelt und Reaktorsicherheit genannt. Und der geflügelte Neusprech-Satz des Ministers wäre zweifellos gewesen: „Alle Probleme eingeschweißt, punktum.“
Das Sekundär-Rohstoff-System unserer Brüder und Schwestern, es wird nicht mehr auferstehen aus den Ruinen. Dank umfassenden Wiederverwertungsverbots (Ausnahme: Stasi-Akten) blieb nur der Müllhaufen der Geschichte. Dafür blüht allüberall auf den Deponien ein neuer doppelt und dreifach abgreifender Industriezweig, der ohne einen kräftigen Gipfelhub der umliegenden Müllgebirge gar nicht auskommt. Solange Geld nicht angemessen stinkt und Minister vom Umtausch ausgeschlossen bleiben, wird sich weiter aus jeder Scheiße Gold machen lassen. Hans-Hermann Kotte
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