NS-Prozeß geht weiter

Längster bundesdeutscher Prozeß gegen den ehemaligen SS-Rottenführer Niemeier wird in Hannover wieder aufgerollt, 14 Jahre Gerichtsprozedere gehen in eine neue Runde  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat jetzt das Landgericht Hannover gezwungen, den längsten bundesdeutschen NS-Prozeß fortzusetzen. Der ehemalige SS-Rottenführer Heinrich Niemeier, gegen den die Hauptverhandlung wegen 15fachen Mordes bereits im Jahre 1978 in Hannover eröffnet worden war, sei mit gewissen Einschränkungen weiterhin „verhandlungsfähig“, entschied jetzt das OLG und gab damit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover gegen die Einstellung des Verfahrens statt.

Der heute 70jährige Angeklagte soll im Januar 1945 bei der Räumung des Konzentrationslagers Auschwitz 15 jüdische Häftlinge erschossen haben. Nachdem gegen ihn insgesamt 331 Tage vor dem Landgericht Hannover verhandelt worden war, setzte die 13. Kammer des Gerichtes im März vergangenen Jahres den zweiten Durchgang des Mordprozesses aus, weil zehn Jahre zuvor die Schöffen der Kammer nicht korrekt ausgelost worden waren. Gestützt auf ein medzinisches Gutachten, das dem Angeklagten Gedächtnisstörungen bescheinigte, stellte die inzwischen mit neuen Schöffen besetzte Kammer im Dezember das Verfahren ein. Gegen beide Beschlüsse erhob die Staatsanwaltschaft Hannover beim OLG Beschwerde.

Unter Berufung auf das gleiche medizinische Gutachten untersagte das OLG nun die Einstellung des Verfahrens. Nach Auffassung des OLGs ist der Angeklagte trotz seiner altersbedingten Einschränkungen der Gedächtnisleistung und der Reaktionsfähigkeit weiterhin fähig, sich vor Gericht zu verteidigen. Zumal dem Angeklagten die Vorwürfe seit vielen Jahren bekannt seien und er sich in zwei Prozessen mit stets derselben Verteidigungsstrategie dagegen gewehrt habe, könne er weiterhin an zwei Terminen in der Woche der Hauptverhandlung beiwohnen, entschied das OLG.

In seinem ersten Prozeß vor dem Landgericht Hannover war Niemeier im Juli 1979 wegen Mordes an zehn jüdischen Häftlingen zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Dieses Urteil hatte der Bundesgerichtshof im Jahr darauf aufgehoben, weil er Zweifel an den „niedrigen Beweggründen“ des Todesschützen hatte. Im zweiten Prozeß ab 1981 wurde die Anklage um fünf weitere Mordtaten erweitert. Dieses zweite zehnjährige Mammutverfahren machte vor allem durch die ausgedehnten Reisen der Kammer von sich reden, auf denen sie in den USA, Kanada und Australien Zeugen befragte. 1988 mußte der Vorsitzende der 13. Strafkammer abgelöst werden, weil er den anderen Prozeßparteien die briefliche Aussage eines in Polen lebenden Zeugen vorenthalten hatte.

Gegen die Aussetzung dieses Verfahrens hatte im März 1991 der Vertreter der Staatsanwaltschaft zunächst keine Einwände erhoben. Diese Haltung war jedoch im niedersächsischen Justizministerium nicht auf Wohlwollen gestoßen.