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Zu Tisch im Zodiak

■ Fahler Fruchtsaft, flüssige Suppe, ein halb durchgebratenes Hacksteak - ein billiges Essen im winterlichen Warschau

Fahler Fruchtsaft, flüssige Suppe, ein halb durchgebratenes Hacksteak — ein billiges Essen im winterlichen Warschau

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as Restaurant Zodiak wird es nicht mehr lange geben. Von außen sieht man es dem Gebäude noch nicht an. Gut, mit lediglich zwei Stockwerken ist es für diese Lage etwas zu niedrig gebaut. Wo sich die größten Geschäftsstraßen Warschaus kreuzen, umgeben von Banken, Großkaufhäusern und Hotels, da liegt das stadtbekannte Billigrestaurant Zodiak, zu deutsch: Tierkreiszeichen. Es liegt ein wenig in der Ecke, als wollte es sich verstecken.

An der Hauswand jagen sich in einem riesigen Kreis Steinbock, Schütze und Skorpion, kunstvoll aus Neonröhren gebogen. Der Charme der sozialistischen sechziger Jahre. Die Mauer ist grau von Staub und Abgasen, wie bei den umliegenden Häusern. Die großen Fenster sind matt und beschlagen. Ich habe Hunger.

Beim Eintreten schwappt mir eine Dunstwoge entgegen. Es riecht nach billigem Fett, Brühe, Reinigungsmittel. Drinnen ist es nicht viel wärmer als draußen. Es zieht, wie in allen billigen Warschauer Lokalen. Anorak, Mantel, Pelz — hier kommen Vertreter aus verschiedensten Bevölkerungsschichten zusammen, eine Handvoll, nicht mehr. Das Lokal, das wohl 200 Personen Platz, also Hocker, bieten könnte, ist fast leer.

Ich stelle mich an, rücke nach wenigen Minuten zur Theke vor. Da dampfen rote Suppen, stehen Teller mit ganzen Gerichten, Fleisch, Kartoffelbrei, Beilage fast in derselben Farbe, warten blaßgrüne Bohnen und blaßgelbe Rüben auf Hungrige. Über die Theke hinweg kann man in die Küche sehen. Es gibt nur Frauen mit Häubchen auf dem Kopf. Überall dampft und zischt es. Die Frauen rühren und schneiden, schälen und schäkern. Am Ende des Tresens steht ein Korb mit Brot neben einer Art Fruchtsaft: Erdbeeren mit Wasser. Dann zur Kasse. Das Essen ist billig.

Der Geschmack auch. Der Fruchtsaft ist fahl, die Suppe sehr flüssig, der Hackbraten noch nicht ganz durch. Aber mir schmeckt es. Es paßt alles zusammen: Auch die Farben an der Wand sind verblaßt. Als Nachtisch hole ich mir noch Katoffelpuffer. Die gibt's an einem extra Stand. Rauchschwaden weisen den Weg. Die Fladen schwimmen in Fett: So hält der Zucker besser.

Da sitzen zwei am Nebentisch, halten sich an den Händen und schauen sich in die Augen. Sie streicheln sich im Gesicht und strahlen sich an. Hinter ihnen am Fenster stehen Plastikblumen. Ich versuche, die Frauen zu fotografieren. Eine resolute Frau — sie hat wohl etwas zu sagen (Scharf gefolgert. Die Säzzerin) — wehrt ab, schubst eine jüngere Frau vor. Die Jüngere geniert sich. Lacht dann. Ich mache ein Foto. Sie hat keine Zähne.

Die Kassiererin ist Feuer und Flamme. Ich soll doch gleich mehrere Bilder machen und ihr zuschicken. Sie hat gefärbtes schwarzes Haar und rote Lippen, lächelt gekonnt in die Kamera. Dann gibt sie mir die Adresse. Daß Warschau eine Postleitzahl hat, weiß sie nicht.

Der kleine, alte Mann sitzt lange im Zodiak. Ganz still. Er besteht mehr aus den übereinanderliegenden Mänteln als aus Fleisch, hat ganz kurze, krumme Beine. Sein Bart ist zerzaust. Auf dem Kopf hat er eine zerbeulte Melone. Er spricht kein Wort. Wenn niemand hinschaut, holt er sich von den stehengebliebenen Tellern die Reste und ißt sie gierig auf. Dann sitzt er wieder ganz still.

Als ich auf die Straße hinaustrete, ist es bereits dunkel. Am nahegelegenen Marriot-Hochhaus leuchtet der Schriftzug in 200Metern Höhe. Von gegenüber strahlt mir in rhythmischen Abständen „Trink Coca- Cola“ entgegen. Hell erleuchtet sind die Namen zahlreicher japanischer Elektronikkonzerne. Menschen mit schweren Einkaufstüten und Pelzmützen hasten am Zodiak vorbei. Es gibt jetzt viele neue Schnellimbiß-Läden. Im neuen Stil: pink und bonbonfarben. Ihre Eingangsschilder leuchten grell. Die Neonsternbilder am Zodiak leuchten nicht. Nein, das Zodiak wird es bald nicht mehr geben. Johannes Krempl

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