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Wie Cary Grant und Marilyn Monroe

taz-Nachrichten-Serie (4): Diesmal Pro7  ■ Von Achim Baum

Noch gehört Pro7 zu den sogenannten kleinen Privaten. Der Münchener Kommerzsender, den Kritiker schon mal als Kirchs „Spielfilmabnudler“ veralbern, will erklärtermaßen erst 1994 die Gewinnzone erreichen. Und die Mitte Oktober 1991 gestartete Nachrichtensendung von Pro7 erreicht bisher nur zwischen 0,8 und 1,2 Millionen Zuchauer, ein Zehntel des Durchschnitts bei der Tagesschau. Ein unzulässiger Vergleich? Keineswegs.

Denn die Veantwortlichen von Pro7 zielten von Beginn an auf den Platzhirsch im Nachrichtenrevier. Schon der Umstand, daß die Pro7-Nachrichten zur geheiligten Sendezeit um 20.00 Uhr beginnen, galt in Medienkreisen als Husarenstück. Und dann der Titel: Tagesbild. Ein glatter Affront, wie der für die ARD-Tagesschau federführende NDR empfand. So wurde Pro7 durch die Instanzen geklagt, von Tagesbild über Pro7-Tagesbilder bis zu Pro7-Nachrichten. Kein gutes Zeichen für das Selbstvertrauen von ARD-aktuell.

Die kessen Töne, die von Pro7- Geschäftsführer, Georg Kofler, zum Start der kommerziellen Nachrichtensendungen zu hören waren, ließen denn auch eine ernsthafte Konkurrenz für die Öffentlich-Rechtlichen erwarten. Das Lob der Medienkritiker folgte postwendend. Dem Anchorman, Jan Fromm, wurde eine „sehr präsente Erscheinung“ attestiert. Gemeinsam mit seiner Kollegin Christiane Gerboth, einer Entdeckung aus Neu-Fünf-Land, verortete man ihn in Hollywood: Ein schönes Paar „wie Cary Grant und Marylin Monroe“.

Wie überhaupt rein äußerlich alles stimmt bei Pro7. Der Background überzeugt durch seine Schlichtheit: entfernt bläulich flimmernde Monitore, die auch bei CNN professionell wirken. Ansonsten dominieren rote Bauchbinden, der Grafik-Hintersetzer beim Moderator schimmert im Goldrahmen. Ganz zu schweigen von der dezenten Kameraführung. Während der ganzen Sendung bleibt deren Einstellung nahezu unverändert, zu Beginn und zum Ende der Pro7-Nachrichten aber saust die Mühle S-förmig von der Studiodecke aufs halbrunde Moderatorenpult zu und wieder zurück. Wer weiß, wofür das gut ist. Auf jeden Fall sieht es schön aus.

Herausragend an den Pro7-Nachrichten sind allerdings die grafischen Erklärungen, kleine Zauberstückchen aus der elektronischen Paint- Box, die in jeder Sendung mehrfach aufgeführt werden. Alles, was man irgendwie zählen, gewichten und auflisten kann, wird grafisch animiert. Obwohl Animation ein viel zu sanftes Wort ist für das, was sich da auf dem Bildschirm abspielt. In wilden Pirouetten wirft Pro7 dem Zuschauer polnische Wirtschaftsdaten entgegen, die nach Europa vordringenden Ausländer schießen als fette schwarze Pfeile durchs Bild, und die Vereinigung von MIR und Sojus wird zum kosmischen Quickie. Der grafische Furor von Pro7 macht weder vor den Tartaren noch vor dem 7. US-Korps halt. Und mit jedem statistischen Detail wächst die behagliche Illusion, man werde bestens informiert. Das einzige aber, woran man sich schließlich erinnert, sind die grafischen Effekthaschereien selber. Schön.

Alles in allem sind die Nachrichtenleute von Pro7 sichtbar darum bemüht, den Eindruck von Qualitätsfernsehen zu erwecken. Und dieser Zweck heiligt die journalistischen Mittel. Bildteppiche sind obligatorisch. Dafür wird auch gelegentlich Werbematerial von BMW benutzt oder der rechtsradikale Le Pen wird den ahnungslosen Zuschauern auf ein- und denselben Bildern an verschiedenen Tagen präsentiert. Angeblich war er zuerst beim Wahlkampf in Lille zu sehen, drei Tage später hieß es plötzlich zu denselben Aufnahmen, Le Pen feiere seinen Wahlerfolg in Nizza. Das grenzt zwar an Betrug, aber die Bilder sahen halt schön aus.

Zunehmend wird die Konkurrenz zwischen den TV-Anbietern zum Verdrängungswettbewerb. Weder die Sehdauer des Publikums noch die Nachrichten wachsen unbegrenzt. Konsumforscher haben inzwischen festgestellt, daß die Zuschauer bereits mit stiller Verweigerung auf das Angebot reagieren: 96,8 Prozent dessen, was uns an Informationen durch das Fernsehen geboten wird, nehmen wir gar nicht mehr wahr. „Informationsmüll“ nennen die Wissenschaftler das. Wer aber dennoch am Geschäft mit den Nachrichten erfolgreich teilnehmen will, muß sich etwas einfallen lassen: rote Banderolen, goldener Schimmer, Zappelbilder ohne Ende und die grafische Verwurstung auch der unwichtigsten Zahlen machen bei Pro7 den „Informationsmüll“ ansehnlich. Ob damit allerdings, wie es der Pressesprecher von Pro7 vollmundig erklärte, auf „die Qualität der Tagesschau noch einiges draufgelegt“ wird, ist zweifelhaft. Nicht alles, was schön aussieht, ist auch Qualität.

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