Die große

Nach der langen historischen Phase der Bipolarität sind die USA sozusagen als Supermacht übriggeblieben. Doch statt des erwarteten Triumphs folgt das Ergehen in einer Krise. Auch die unipolare Welt scheint nur Übergang. Von der „neuen  ■ VON FRED HALLIDAY

Es kann kaum Zweifel darüber geben, was die Welt gegenwärtig vor allem beschäftigt: Es ist die Frage, was in und mit Amerika geschehen wird. Über Jahre war dies kein bedeutendes internationales Thema — abgesehen von gelegentlichen Zusammenstößen im Atlantischen Bündnis; aber nun ist die Zukunft der amerikanischen Innen- und Außenpolitik in den Vordergrund gerückt. Wo sich einst die Aufmerksamkeit auf die Golfkrise oder Afghanistan oder den Zusammenbruch der ehemaligen UdSSR richtete, da konzentriert sie sich nun auf die USA.

Vor einem Jahr sah alles ganz einfach aus. Die USA hatten den Golfkrieg ebenso gewonnen wie den Kalten Krieg. George Bush, Präsident während dieser Siege, hatte sich damit in Washington festen Stand verschafft.

Das „amerikanische Jahrhundert“, 1941 proklamiert und in den 70er Jahren durch Vietnam rüde unterbrochen, war wieder im Gleis. Die Umrisse der „neuen Weltordnung“ schienen klar. An die Stelle der bipolaren sowjetisch-amerikanischen Auseinandersetzung war eine neue unipolare Welt getreten, in der die USA, durch ihre Siege gestärkt, ihren Willen durchsetzen konnten — sie konnten ihre ökonomischen Rivalen in Europa und Japan im Zaum halten, in der Dritten Welt als Polizist auftreten, den Vereinten Nationen ihre hegemoniale Politik aufzwingen.

Linke Kritiker warnten vor einer neuen Ära des US-Imperialismus und Militarismus. Die Rechten, die Verfechter einer Pax americana ebenso wie die Anhänger der Theorie der hegemonialen Stabilität — diese argumentieren, das internationale Wirtschafts- und Rechtssystem bedürfe eines gütigen Herrschers oder Hegemons —, begrüßten es, daß einem potentiell chaotischen politischen und ökonomischen Weltsystem eine neue Ordnung aufgezwungen werden sollte; wer die Führung durch eine Großmacht — ob imperialistisch oder wohlwollend — als Segen betrachtete, gab sich befriedigt. Dazwischen hofften die liberalen Internationalisten, die auf eine stärkere UNO bauen, daß Washington die Weltkörperschaft seinen Bedürfnissen nicht allzu offen unterwerfen werde.

All dies scheint nun lange vorbei. Der Begriff „neue Weltordnung“, den Kritiker wie Befürworter immer zu ernst genommen haben, ist fast verschwunden: Nur in einem kurzen Zeitraum, 1988/89, ergab er einen Sinn, als es so aussah, als könnten Washington und Moskau bei der Lösung internationaler Probleme zusammenarbeiten. Bush hat ihn in den letzten neun Monaten praktisch nicht mehr verwendet, und weder bei den US- noch den britischen Wahlen wird er eine besondere Rolle spielen. Die amerikanischen Beziehungen zu den ökonomischen Konkurrenten in der EG und Japan sind angespannter geworden, wie die Auseinandersetzungen über die Gatt-Runde und makroökonomische Politik zeigen: Insbesondere die amerikanisch-japanischen Beziehungen haben sich schlagartig verschlechtert, und in beiden Ländern steigt die politische Feindseligkeit.

Rückzug aus dem KSZE-Europa

In Europa und in dem erweiterten KSZE-Europa, das sich nun bis zu den Bergen des Pamir und nach Wladiwostok erstreckt, halten sich die USA militärisch und ökonomisch zurück, während sich die lokalen Staaten bemühen, sie stärker einzubinden. Im engeren, durch die Nato definierten Europa läßt sich der gleiche Richtungswechsel feststellen. Die Europäer sind am Bleiben der USA interessiert und wollen, daß die amerikanischen Streitkräfte in Europa ihre gegenwärtige Stärke von 300.000 Mann halten; in den USA verläuft die Auseinandersetzung zwischen Bush, der 150.000 Mann in Europa lassen will, und seinen Gegnern, für die diese Zahl unter 90.000 liegt. Die Amerikaner fragen sich zunehmend, wozu die Nato eigentlich taugt — außer als Stützpunkt, von dem aus die Streitkräfte im Nahen Osten eingesetzt werden können. Im Nahen Osten selbst tritt die US-Politik sowohl im Golf als auch in der arabisch-israelischen Frage auf der Stelle — die letztere steht inzwischen völlig im Bann der israelischen Wahlen im Juni.

Ein Grund für diese Umkehr liegt darin, daß die hegemonial-imperialistische Perspektive einen wichtigen Faktor außer acht ließ: nämlich das amerikanische Volk. Tatsächlich gehört es zu den Paradoxen der gegenwärtigen Situation, daß im gleichen Moment, in dem der US-Kapitalismus seinen größten Sieg über die kommunistische Welt genießt, die Außenpolitik an eine Grenze stößt, die durch die Sorgen der am stärksten vernachlässigten historischen Kraft definiert ist: der amerikanischen Arbeiterklasse. Im Golfkrieg vergaßen amerikanische und irakische Strategen das irakische Volk — viele Soldaten liefen einfach davon und dann erhob sich die kriegsmüde Bevölkerung; bei der Spekulation über die neue Weltordnung unterblieb die Frage, ob das amerikanische Volk sie eigentlich wollte. Die klare Antwort lautet nun: nein.

Unmittelbar nach dem Golfrieg herrschte eine offizielle und nationalistisch geprägte Euphorie, aber die ging schnell vorüber; denn trotz aller rassistischen, antiarabischen Elemente in einem Teil der Propaganda handelte es sich mehr um die Euphorie der Erleichterung als um die der Aggression. Die US-Politik hat eine ganz eigene Färbung. Verschwörungstheorien, wie man sie normalerweise nur aus den Ländern der Dritten Welt gewohnt ist, sind durchaus üblich, wie die Kontroverse über John F. Kennedy jetzt wieder zeigt. In dieses Bild paßt Kevin Costners abschließender Beitrag im Kennedy- Film, in dem er nahelegt, hinter allen scheinbar unschuldigen politischen Ereignissen stünde eine verschwörerische Wahrheit.

Und auch für ihr gutes Gedächtnis ist die US-Politik nicht gerade bekannt — Bush muß es gerade lernen; aber hier sind auch noch andere, grundlegendere Faktoren am Werke. In diesem Sinne erscheinen das Ende des Kalten Krieges und der Golfkrieg nicht als die Wiederherstellung des amerikanischen Selbstvertrauens oder der amerikanischen Macht, sondern als kurze Zwischenspiele in einem Prozeß der Angst und Sorge angesichts eines „Niedergangs“, der Mitte der 70er Jahre begann — mit der Niederlage in Vietnam und der Erosion der bisherigen ökonomischen Vorherrschaft der USA.

Einerseits herrscht in den USA zunehmend die Empfindung, das Land stecke in einer innenpolitischen Krise. Die Wirtschaft stagniert, die USA sind zum größten Schuldnerland der Welt geworden — das ist die wichtigste historische Errungenschaft der eilfertig vergessenen „Reagan-Revolution“ — „immerhin ist der Dollar noch mehr wert als der Rubel“, wie es neulich ein Bankier ausdrückte. Innenpolitische Probleme — die Zunahme der Verbrechen, die zusammenbrechende Infrastruktur, Drogen, Ausbildung — gewinnen an Gewicht. Insbesondere haben die Amerikaner seit den 70er Jahren das Gefühl verloren, daß ihr Land das beste sei: Sie und ihre Politiker haben internationale Vergleiche angestellt. Während der Auseinandersetzung mit der UdSSR fanden diese Vergleiche jedoch nur in der militärischen Sphäre statt, wo die USA im großen und ganzen, von der vorgeblichen Raketenlücke abgesehen, zuversichtlich waren.

Die Wiederkehr der Innenpolitik

Nun stellt man Vergleiche mit anderen entwickelten kapitalistischen Ländern an, und es fällt nicht mehr so leicht, Überlegenheit zu empfinden. Die Rate der Kindersterblichkeit ist in den USA doppelt so hoch wie in Japan. In der Hauptstadt Washington D.C. ist sie höher als in Nepal, in Harlem höher als in Bangladesch. Clinton bewirbt sich um das Präsidentenamt mit der Aussage, die USA seien das einzige entwickelte Land ohne ein funktionierendes Krankenversicherungssystem. Gleichzeitig weist er darauf hin, daß die Industriearbeiter nicht mehr die höchsten Löhne der Welt erhalten, sondern nur noch an zehnter Stelle stehen. Die Produktivität in den USA steigt nur ein Drittel so schnell wie die japanische, halb so schnell wie die europäische (wenn auch nicht die britische). Es wächst die Sorge um die Ausbildungssituation, genährt durch die verlogene Debatte zwischen nietzscheanischen Befürwortern einer klassischen Ausbildung und verwirrten Relativisten, die sich für politische Korrektheit aussprechen. Der Verfall der Städte und die Zunahme der Verbrechen liegen offen zutage: Wer die U-Bahnen Tokios und New Yorks nach Sauberkeit und persönlicher Sicherheit vergleicht, kennt den Unterschied. In den USA sitzt der welthöchste Prozentsatz der erwachsenen Bevölkerung im Gefängnis — bis zu zehnmal mehr als in einigen anderen entwickelten Ländern.

Der US-Patient in einer Depression

Bush hoffte, die Operation Wüstensturm würde ihm über diese Schwierigkeiten hinweg helfen, aber das war nicht der Fall. Die Konservativen denunzieren den Krieg als Zeitverschwendung, die Liberalen haben sich darauf eingeschossen, ihn als Ablenkung von den inneren Problemen zu bewerten. Für George Bush kam der Moment der Wahrheit im letzten Dezember, als sein Kandidat in einer pennsylvanischen Senatsnachwahl geschlagen wurde: Fortan war es vorbei mit den Hinweisen auf die neue Weltordnung — sie wurden ersetzt durch die Parole „Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze“. Den traurigen Höhepunkt bildete sein ostentativ verschobener Besuch in Japan: Während die Industriellen seiner Begleitung vergeblich auf ihre japanischen Gesprächspartner eindonnerten, rutschte Bush unter dem Einfluß der Zeitverschiebung und erschöpft von seiner Tennisniederlage gegen den japanischen Kaiser unter den Tisch, und Millionen am Fernseher sahen zu. Das war der Inbegriff von imperial overstretching (imperialistischer Überdehnung).

Ausländische Beobachter der USA lassen sich häufig von einer Erscheinung verwirren, die als Wechsel zwischen Arroganz und Selbstmitleid wahrgenommen wird — aber beide gehören, wie uns jeder Psychoanalytiker erzählen kann, zum gleichen Bild. Die Debatte der USA über den „Niedergang“ läuft seit Mitte der 70er Jahre zwischen den beiden Lagern der „Niedergänger“ und jener, die Paul Kennedy als „Wiederaufsteiger“ bezeichnet hat. Im Moment herrscht das Selbstmitleid vor. Die Amerikaner übertreiben ihren wirtschaftlichen Abstieg und können nicht begreifen, in welchem Maße ihr Lebensstil weiterhin eine Verlockung für Menschen in aller Welt darstellt, ob für Angehörige der Mittelklasse oder Arbeiter. Ihre militärische Vorherrschaft stand niemals weniger in Frage. Aber nun herrscht eine Untergangsstimmung vor und hat den vorübergehenden Glanz der Operation Wüstensturm verdunkelt.

In einem gewissen Sinne bedeutet all dies, worauf Richard Rosecrance hinwies: daß die USA wieder ein ganz normales Land werden. Statt globale oder — in der US-Terminologie — „internationalistische“ Ziele zu verkünden, wird die amerikanische Politik nationalistischer: Der Zusammenbruch des Kommunismus hat Washington von seiner unnatürlichen und niemals allzu gern ertragenen Verpflichtung befreit, als Vorreiter einer breiteren Koalition aufzutreten. Von Pat Buchanan („Amerika an erster, zweiter, dritter Stelle“) bis Gore Vidal („Warum soll ich mir als amerikanischer Patriot Sorgen über Saddam machen? Er ist auch nicht schlimmer als die Polizei von Los Angeles“) ist die Stimmung geprägt durch die Abkehr von Verpflichtungen nach außen — besonders wenn sie Geld oder Blut zu kosten drohen. Die Nato verliert an Gewicht und liegt vielleicht in ihrer letzten Krise.

Auch die auswärtige Hilfe wird weiter sinken — mit 18 Milliarden Dollar (von denen allein 12 Milliarden für Israel und Ägypten bestimmt sind) ist sie im internationalen Vergleich — gemessen als Prozentsatz des Bruttonationalprodukts — ohnehin schon sehr niedrig. Die Beiträge zum Internationalen Währungsfonds und der UN sind blockiert. Von Globalismus ist also keine Rede mehr — solange nicht US-Interessen ins Spiel kommen, wird Washington sich nicht mehr einmischen. Als Prioritäten gelten ein freies Handelssystem und die Beendigung des japanischen und europäischen Protektionismus, im Nahen Osten Stabilität, wenn schon nicht Frieden, und im ehemaligen Sowjetblock der erfolgreiche Übergang zum Nachkommunismus.

Daher weigert sich Washington auch, sich in Jugoslawien zu engagieren, und zeigt nur geringes Interesse an Nordafrika — damit sollen die Europäer alleine fertig werden. Irritiert von der Weigerung Saudi- Arabiens, Vereinbarungen über die Stationierung amerikanischer Truppen zu unterzeichnen, läßt Washington nun durchblicken, beim „nächsten Mal“ werde man wohl nicht mehr so bereitwillig helfen. Dies bedeutet auch, daß US-Politiker sich gegenüber ehemaligen Alliierten erheblich mehr Grobheit leisten können: US-Experten amüsieren sich etwa über die Behauptungen der EG, sie besäße eine gemeinsame Außenpolitik — Wer koordinierte denn eigentlich die Politik in der Golfkrise, fragen sie — und die Feindseligkeit gegenüber Japan nimmt nicht ab — auch weil japanische Politiker zunehmend und mit traditioneller Arroganz unbotmäßige Bemerkungen über die amerikanische Faulheit, Rassenvielfalt, Frauenherrschaft usw. fallen lassen.

Der Niedergang der USA — nur ein Anfang?

Wie in Rußland hat auch in den USA das Ende imperialistischer Bestrebungen und Verantwortlichkeiten die populistische Forderung ausgelöst, die Interessen der Metropolen in den Vordergrund zu stellen. Diese Trends werden verstärkt durch die Rhetorik und die Unwägbarkeiten der Präsidentschaftskampagne in den USA; andererseits ist diese Kampagne bedeutungslos, soweit es um den Rest der Welt geht. Es hat in der US-Politik immer ein größeres Maß an Kontinuität gegeben, als Washingtons Politiker behaupten. Kein Kandidat setzt sich für eine gründliche Überprüfung der Innen- oder Außenpolitik ein. Der einzige Kandidat, den man als Vertreter der demokratischen Linken hätte bezeichnen können und der die Bedürfnisse armer Menschen und organisierter Arbeiter zum Thema machte, Tom Harkin, hat sich aus den Vorwahlen zurückziehen müssen.

Auf jeden Fall liegt einer der Gründe für den Wandel in der US- Position darin, daß die Politik in Washington seit Mitte der 70er Jahre immer diffuser geworden ist — der Präsident verlor an Macht gegenüber dem Kongreß und seinen Ausschußvorsitzenden, und die Mehrheits- und Minderheitsführer in den beiden Häusern, bei denen traditionell die legislative Macht lag, verloren an Einfluß gegenüber einem breiteren Spektrum im Kongreß. Die Gewichtsverlagerung innerhalb der US-Gesellschaft — vom Rost- zum Sonnengürtel und vom WASP- Establishment der Ostküste zu einer neuen, ethnisch stärker gemischten Elite — läßt alte Gewißheiten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg schwinden.

Aber was in Amerika geschieht, ist für den Rest der Welt unter zumindest drei Aspekten von Bedeutung. Zunächst stellt sich die Frage, ob der interne Niedergang der USA tatsächlich anhält, und wenn ja, ob dies den Weg anderer industrialisierter Länder vorzeichnet. Die Zunahme der Verbrechen, die soziale Polarisierung, die Drogenabhängigkeit, die Mittelmäßigkeit der Ausbildung, die Wahlenthaltungen, die Oberflächlichkeit der Medien, die Budgetdefizite könnten, wenn man sie hochrechnet, das ohnehin nicht allzu perfekte demokratische System untergraben. Liest man Fukuyamas Buch Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch nicht triumphalistisch, so erhält man den Eindruck, daß eine solche dialektische Selbstschwächung allen liberalen demokratischen Systemen zu eigen ist. Wie Saul Landau, der brillante sozialistische Kritiker der US-Politik, beobachtete, fällt vor allem auf, daß der Staat nicht durch Atomangriffe von außen oder ökonomische Konkurrenz bedroht wird, sondern durch den Skandal: von Watergate über Irangate bis zur Rolle des Privatlebens.

Wenn, wie zahlreiche Gerüchte wissen wollen, über Clinton und Bush noch mehr ans Licht kommt, dann könnte dies zu einem Dauerbrenner der Wahlkampagne werden. Die Geschäfte des CIA mit Drogendealern — in Panama, Thailand, Afghanistan — bilden ein weiteres Beispiel. Zur Zeit scheint kein Ende dieses Niedergangs in Sicht, und es wäre töricht anzunehmen, er könne immer so weitergehen. Ob andere Länder auf diesem Wege folgen werden, läßt sich bisher nicht sagen; aber der Einfluß des US-Lebensstils auf die soziale und politische Praxis in aller Welt ebenso wie die tieferen Gründe für diese Trends in den USA, die nur selten US-spezifisch sind, lassen nicht vermuten, daß der soziale Verfall nur auf die USA beschränkt bleibt.

Dies führt zur zweiten Frage: Was werden die USA mit ihrer vor allem militärischen Macht im nächsten Jahrzehnt anfangen? Die Sorge um die atomare Überlegenheit gegenüber der UdSSR hat einem neuen Wunsch Platz gemacht, die US-Vorherrschaft durch präzisere militärische Mittel auszuüben: Einerseits durch die Aufrechterhaltung einer globalen Interventionsfähigkeit, der Fähigkeit, aus Stützpunkten in den USA gegen feindliche Staaten zuzuschlagen — der Golfkrieg, in dem die ersten Schläge gegen den Irak von Stützpunkten in den USA selbst ausgingen, bildete in diesem Sinne ein gutes Übungsfeld für derartige Einsätze; andererseits durch die Entwicklung von GPALS — globaler Schutz gegen begrenzte Atomschläge: ein dauerhaftes weltraumgestütztes System, das die Verbündeten der USA gegen plötzliche Raketenangriffe schützen soll. Die technischen Probleme sind relativ lösbar, die politischen nicht: Im Inland wird starker Druck ausgeübt, das 300-Milliarden-Verteidigungsbudget zu kürzen, weit drastischer als um die von Bush vorgeschlagenen 50 Milliarden über fünf Jahre; im Ausland wird GPALS von allen außer den Russen mißtrauisch betrachtet, weil die USA die Technologie für sich behalten wollen und weil das System gegen viele andere Formen des Angriffs keinen Schutz bietet.

Wut auf die Bösewichter in der Dritten Welt

Die Rede von Interventionen in der Dritten Welt ist zwar verstummt, aber das Problem wird nicht verschwinden; Pentagon-Planer, die Gefahren gerne hochspielen, um ihre Existenz zu rechtfertigen, warnen vor den übriggebliebenen Schurkenstaaten Nordkorea, Irak, Panama, Libyen. Politisch gesehen könnte sich dies ebenso gegen rivalisierende entwickelte Länder richten wie gegen die Bösewichte der Dritten Welt selbst: So wie der Golfkrieg unter anderem die Europäer daran erinnern sollte, wer auf dem Ölmarkt die Nummer eins ist, so könnte eine Bombe auf eine koreanische Atomanlage auch die Japaner an die US- Hegemonie erinnern — daher ist die gegenwärtige Korea-Politik der USA in Japan überaus unpopulär. Der Iran bleibt ein beliebter Bösewicht, und die Drohung des iranischen Einflusses in Zentralasien ist am Potomac Tagesgespräch. In zwei Fällen, in denen eine Herausforderung dem eigenen Land näher läge, herrscht jedoch Schweigen: Kuba und Peru.

Sollte es in Kuba zu ernsthaften Unruhen kommen und zu Hilfsersuchen zur „Befreiung“ der Insel, ist schwer zu sehen, wie sich ein US- Präsident dem widersetzen könnte. Gegenüber Peru liegt der Grund des Schweigens auf der Hand: Wenn Sendero Luminoso Lima bedroht, kann sich niemand vorstellen, daß die Rebellen ohne schwere amerikanische Verluste besiegt werden könnten. Zum 500. Jahrestag der „Entdeckung“ beider Amerika wäre es eine Ironie ganz eigener Art, wenn Washington von einer maoistischen Guerilla-Bewegung, die sich am verlorengegangenen Egalitarismus des Inka-Reiches orientiert, zum Konflikt gezwungen würde.

Die Widersprüche zwischen militärischen Fähigkeiten und politischer Komplexität werden nirgends deutlicher als in der Drogenfrage. Nach US-Umfragen ist dies nach der Arbeitslosigkeit die größte Sorge der Wähler, und das letzte Jahrzehnt war erfüllt vom Ruf nach Kreuzzügen gegen die Drogenproduktion, gegen Import und Verbrauch. Es bleibt die Tatsache, daß Drogen nach dem Öl weltweit die am meisten gehandelte Ware bilden, und es sind die US-Verbraucher, die für einen großen Teil der Nachfrage verantwortlich sind. Die USA haben sich in einigen direkten Militäraktionen gegen die Drogenproduktion in Mexiko und Peru engagiert, und die Marine spuckt große Worte darüber, in der Karibik Schiffe anzuhalten. Aber die meisten Drogen kommen auf dem Luftweg, wobei der größte Teil des Geldes, das für die Antidrogenpolitik ausgegeben wird, in den Empfängerstaaten in die Immobilienspekulation oder andere Kanäle wanderte. Aus innenpolitischen Gründen haben die USA nicht die Mittel zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe die Produzenten statt Drogen andere absatzfähige Produkte anbauen könnten. Kolumbien erhielt im letzten Jahr insgesamt 47 Millionen Dollar für seine Antidrogenpolitik — fast ausnahmslos wurden sie für militärische Zwecke verwendet. Gebeten hatten die Kolumbianer um eine Erleichterung des Absatzes von Kaffee und Schnittblumen auf dem US-Markt, aber das hat Washington abgelehnt.

Wenn man den Böswilligen glauben will, wird eine konsequente US- Drogenpolitik blockiert von der Drogenlobby — von Millionen Verbrauchern und den Finanzinstituten vor allem in Südflorida, die am Drogengeld ihren Schnitt machen. Mit Sicherheit haben die Produzentenstaaten ein Interesse an der Weiterführung des Drogengeschäfts — Kolumbien bezog im letzten Jahr aus Verkäufen eine Milliarde Dollar. Ebenso wahrscheinlich läßt sich jedoch aus dem üblichen Konflikt politischer Prioritäten in Washington ablesen, daß die USA über gar keine Drogenpolitik verfügen, und daß die Kandidaten jetzt nur moralische Appelle zu bieten haben.

Zu den Ironien dieser ganzen Angelegenheit gehört es, daß Marihuana vielleicht innerhalb der nächsten zwanzig Jahre legalisiert wird, um harten Drogen den Reiz zu nehmen, während der Zigarettenverbrauch verboten würde und die US-Produktion nur noch für den Export in die Dritte Welt weiterginge. In dieses Bild passen Gerüchte, daß amerikanische Tabakfirmen große Landflächen in Mexiko kaufen, um sie als Marihuana-Plantagen zu nutzen. Die dritte und letzte Frage lautet, was für eine Welt aus diesen Prozessen — dem Ende des Kalten Kriegs und dem Rückzug der USA — hervorgehen wird. Von einem US-Isolationismus zu sprechen, wäre blanker Unsinn, denn in der wichtigsten Form der internationalen Interaktion — im Handel und überseeischen Investitionen — sind die USA seit 1918 in den Rest der Welt integriert, und für ausländische Investoren waren sie im späten 19. Jahrhundert ein ebenso beliebter Anlageort wie heute. Die Bankiers und Händler werden nicht in die Isolation des 19. Jahrhunderts zurückkehren.

Drogen und Arbeit, zentrale Themen

Strategisch gesehen ist die Frage jedoch offener. Die Theorie des Machtgleichgewichts würde auf eigenartige Weise gerechtfertigt, wenn dem Niedergang der UdSSR nicht der Aufstieg eines anderen Weltkonkurrenten für die USA folgte, sondern eine Entropie der amerikanischen Macht selbst. Im Augenblick leben wir in einer unipolaren Welt, und es gehört mehr dazu als Buchanan und Clinton, um das zu ändern. Auf längere Sicht könnte eine Reihe um internationalen Einfluß konkurrierender Blöcke hervortreten — USA, Europäer, Japaner und vielleicht später Russen und Chinesen. Die optimistische Sicht lautet, zum ersten Mal in der modernen Geschichte sei ein Krieg zwischen größeren Mächten unwahrscheinlich. Wenn etwas dran ist an der Regel, daß liberale demokratische Staaten nicht gegeneinander kämpfen (abgesehen vom amerikanisch-britischen Krieg von 1812 und dem Kabeljau- Krieg zwischen Island und Großbritannien), dann werden sie es auch in Zukunft nicht tun.

Die pessimistische Sicht lautet, daß solch friedliches Verständnis zwischen größeren Staaten normalerweise nach Kriegen eintritt — das Ende des Kalten Krieges entspräche dem Ende des Ersten und Zweiten Weltkrieges und davor dem des 30jährigen Krieges und der napoleonischen Kriege. Die Pointe dieser Analogie lautet, daß ein solches Einverständnis immer nur von sehr kurzer Dauer war. Daher läßt sich nur eins sagen: Was die USA in den nächsten Jahren tun oder nicht tun, wird die kommenden Jahrzehnte prägen. Daß sich in den USA nur wenige darüber Gedanken machen, gehört dabei zu den hervorstechenden Seltsamkeiten dieser Großmacht.

Der Autor ist Professor für internationale Beziehungen an der London School of Economics. Dieser Artikel geht hervor aus einer Konferenz über die Zukunft der US-Außenpolitik am Royal Institute of International Affairs, London, im Februar.

Übersetzung: Meino Büning