: EG: Zahmer Protest gegen die Türkei
Brüssel „bittet um Infomationen“ über Kurdenpolitik/ Trotz Bonner Lieferstop sollen Bundeswehrlastwagen in Izmir entladen werden/ SPD setzt auf die türkischen Sozialdemokraten ■ Aus Bonn Andreas Zumach
Die EG hat sich darauf geeinigt, die türkische Regierung um „Informationen“ über ihre Kurdenpolitik zu bitten. Von der Tagung der EG-Außenminister am Montag in Luxemburg werden keine weitergehenden Maßnahmen erwartet. Obwohl die Bundesregierung Ende März einen Stop aller Rüstungslieferungen an die Türkei verhängte, soll Anfang nächster Woche ein Schiff mit Bundeswehrmaterialien an der türkischen Küste entladen werden. In einem Positionspapier zur Kurdenfrage setzt die SPD darauf, durch einen verstärkten Dialog mit den türkischen Sozialdemokraten (SHP) die Politik der Regierung in Ankara positiv beeinflussen zu können. Die Sprecher des Auswärtigen Amtes in Bonn und der EG in Brüssel teilten mit, die zwölf EG-Außenministerien hätten sich gestern nacht auf die Bitte um „Informationen“, geeinigt. Dies ist auch nach diplomatischen Gepflogenheiten eine Protestform auf niedrigstem Niveau. Die Demarche soll nicht veröffentlicht werden.
Diese erste gemeinsame Reaktion der EG auf die schweren Menschenrechtsverletzungen in der Türkei wird zudem dadurch entwertet, daß die Demarche nicht von der portugiesischen EG-Präsidentschaft, sondern einzeln von den Botschaftern der zwölf EG-Staaten in Ankara übergeben wird. Gegen eine formelle Verurteilung Ankaras oder die Verhängung eines EG-weiten Lieferstops für Rüstungsgüter hatten sich bei den Brüsseler Beratungen vor allem Frankreich und Großbritannien ausgesprochen. Unterdessen soll das Frachtschiff „Namikema“, das am 20. März unter türkischer Flagge und mit einem türkischen Kapitän von Hamburg auslief, wahrscheinlich im Hafen Izmir entladen werden. An Bord befinden sich unter anderem 50 Militärlastwagen aus Bundeswehrbeständen. Das Schiff wird am Montag oder Dienstag in Izmir erwartet. Ankara rechnet nicht damit, daß Bonn gegen seine Entladung und die Auslieferung der Waffen an die türkische Armee Einspruch erheben wird. Zu dieser Einschätzung beigetragen hat die Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl, die in der türkischen Öffentlichkeit als Eingeständis gewertet wird, mit der Verhängung des Rüstungslieferstops einen Fehler begangen zu haben. In ihrem Positionspapier verlangt die SPD-Bundestagsfraktion von der Türkei, Irak, Syrien, Iran und den GUS-Staaten am Kaukasus, „der jeweiligen kurdischen Bevölkerungsgruppe die ihr nach KSZE-Maßstäben zustehenden Rechte zu gewähren“. Über „kulturelle Selbstbestimmung hinaus“ müsse „in geschlossenen kurdischen Siedlungsgebieten unterhalb der staatlichen Verwaltung die Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene ermöglicht werden“. Dagegen sprach sich der politische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Lamers gegen die Unterstützung eines „uneingeschränkten Selbstbestimmungsrechts“ der Kurden durch die Bundesregierung aus. Der Fall der Kurden zeige, wie das Prinzip der Freiheit und Selbstbestimmung gegen das Prinzip der Stabilität und Integrität von Staaten stehe.
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