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Hundertfacher Hitlergruß in Dresden

■ Rechtsradikale demonstrierten stundenlang gegen Freispruch für Todesschützen/ Polizei schaut zu/ Dresdens Oberbürgermeister Wagner bricht sein Versprechen an die Jüdische Gemeinde

Erneut duldete Dresdens Stadtverwaltung am Wochenende einen neonazistischen Aufmarsch. Unter FAP-Standarten und Reichskriegsflaggen defilierten mehrere hundert Rechtsradikale aus dem ganzen Bundesgebiet durch die Innenstadt. Die Demonstration war als Protest gegen den Freispruch für den Todesschützen des Neonaziführers Rainer Sonntag angemeldet worden.

Noch am Donnerstag hatte die Antifa-Gruppe „Wolfspelz“ das Büro des Dresdener Oberbürgermeisters Wagner besetzt und ein Verbot des Aufmarsches gefordert. Die BesetzerInnen erinnerten den OB daran, daß er im November 1990 der Jüdischen Gemeinde reumütig versichert hatte, solche Aufmärsche in Zukunft nicht mehr zuzulassen. Damals waren 500 Neonazis unter der Führung von Michel Kühnen durch Dresden marschiert. Sicherheitsdezernent Ihme (CDU) wimmelte jetzt ab: „Sobald der Hitlergruß auftaucht, kann die Polizei die Demonstration auflösen.“ — Der Hitlergruß war auf dieser Parteiveranstaltung nicht nur einmal zu sehen. Die Rechtsradikalen formierten sich am Lenindenkmal und beschmierten es mit Hakenkreuzen. Auf ihrem Marsch durch die Stadt skandierten sie „Rache für Rainer“ und „Ausländer raus“. Auf Transparenten war zu lesen „Gegen Rotfront und Anarchoterror“. Von Leuten am Straßenrand bekamen die DemonstrantInnen immer wieder lautstarken Beifall.

Vor dem Justizgebäude, dem Ziel des Umzugs, sperrte die Polizei kurzzeitig das Gelände ab. Nach Polizeiangaben war ein bombenähnlicher Gegenstand entdeckt worden. Doch bald war die Straße wieder frei für den Kampfappell.

Die Polizei schaute zu, als die Neonazis, die Arme zum Hitlergruß gereckt, unmittelbar vor dem Justizpalast antraten. Zwischen den Ansprachen skandierten sie wieder: „Mörder an den Galgen“ und „Wir kriegen euch alle“. — Der Chef der Sächsischen Nationalen Liste, einer Partei, die sich um die Teilnahme an den nächsten Wahlen bemüht, nannte das Urteil im Sonntag-Prozeß einen „Justizskandal“. Damit seien „wir für vogelfrei erklärt“ worden, ergänzte ein Sprecher der Deutschen Liga.

Die ideologische Linie wies der Chef der Deutschen Nationalen Partei, Thomas Daniel aus Weimar. „Wir sind deutsche Realität“, tönte er. „Und die deutsche Realität wehrt sich gegen irgendwelche Zuhälter, Schwule und Ausländer, die auf Deutsche schießen.“ Dem sächsische Innenminister drohte er: „Sie werden noch viele schlaflose Nächte haben, aber es wird der Tag kommen, da haben Sie keine schlaflosen Nächte mehr.“ Grüße vom Langener Altnazi Reisz richtete der Hoyerswerdaer Chef der Nationalen Alternative in Dannenberg aus. Während der Demonstration verkündete er: „Die Basis für eine nationale Massenbewegung kann nur von Mitteldeutschland ausgehen.“

Weder „Sieg-Heil“-Rufe noch die Aufforderung eines Berliner Redners, den freigesprochenen Simeonidis „zur Strecke zu bringen“, bewegte die Polizei zum Einschreiten. Kommentar eines Beamten: „Was meinen Sie, wie das Justizgebäude dann aussieht, wenn wir jetzt räumen. Die schlagen alle Scheiben kaputt.“ klack

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