: Der Krieg in Bosnien weitet sich aus
■ Bosnischer Sender berichtet von Hunderten Toten/ In der Hauptstadt Sarajevo schießen maskierte Zivilisten auf Friedensdemonstranten/ Die Führer Bosniens beschließen Waffenstillstand
Sarajevo (afp/ap/dpa/taz) — Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Bosnien-Herzegowina haben sich am Wochenende erheblich ausgeweitet, während die ersten Kontingente der UN-Friedenstruppen an der Adriaküste eintrafen. Bei heftigen Kämpfen im Südwesten der Republik wurden nach Angaben des bosnischen Rundfunks Hunderte Menschen getötet. Nach diesen Berichten bombardierte die Luftwaffe der Bundesarmee massiv die kroatischen Stellungen auf dem Kupres- Plateau. Die kroatischen Dörfer Zlosela und Rasticevo wurden bei den Luftangriffen dem Erdboden gleichgemacht; die Stadt Kupres wurde zum Teil zerstört. Die kroatische Agentur 'Hina‘ meldete, es sei den kroatischen Einheiten gelungen, in Kupres die Kontrolle zu übernehmen und drei Flugzeuge der Bundesarmee abzuschießen. General Milutin Kukanjac, Oberbefehlshaber des zweiten jugoslawischen Militärbezirks, zu dem auch Bosnien gehört, hatte angekündigt, die Bundesarmee werde mit Luftangriffen auf eine kroatische Offensive bei Kupres antworten. Am Sonntag abend beschlossen die Führer der Moslems, Serben und Kroaten Bosnien-Herzegowinas einen Waffenstillstand.
Die Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, Sarajevo, wurde am Sonntag nachmittag erneut von schweren Explosionen in mehreren Stadtvierteln erschüttert. Im gesamten Stadtgebiet kam es auch wieder zu stundenlangen Schießereien zwischen Serben, Moslems und Kroaten. Maskierte Männer schossen am Sonntag nachmittag im Zentrum von Sarajevo auf Zivilisten. Das Fernsehen in Sarajevo berichtete live von einer Friedensdemonstration. Vor dem Parlamentsgebäude waren Tausende von Demonstranten versammelt, die von den politischen Führern Bosnien-Herzegowinas forderten, sich für die Beendigung der Spannungen zwischen den drei Gruppen der Moslems, Serben und Kroaten einzusetzen. Eine Gruppe Zivilisten wollte sich der Friedensdemonstration anschließen, als die Maskierten das Feuer eröffneten. Fünf Personen wurden erschossen.
Ein Augenzeuge berichtete, in seiner direkten Umgebung seien mindestens fünf Menschen von den Schüssen niedergestreckt worden. Das Fernsehen zeigte, wie eine Frau aus der Menschenmenge abtransportiert wurde. Auf zahlreichen Gebäuden der Stadt, vor allem auf dem Holiday-Inn-Hotel, waren Schützen postiert. Im Holiday Inn residiert der Führer der Serbischen Demokratischen Partei (SDS), Radovan Karadzic. Der 'afp‘-Korrespondent stellte fest, daß bei dem Hotel, gegenüber vom Parlamentsgebäude, zahlreiche schwerbewaffnete Anhänger der SDS standen. Bereits in der Nacht zum Sonntag waren in Sarajevo drei Menschen erschossen worden.
Karadzic lehnte es ab, am Sonntag nachmittag an einem Treffen der Führer der drei wichtigsten bosnischen Parteien teilzunehmen, bei dem Alija Izetbegovic für die moslemische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) und Miljenko Brkic für die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) mit ihm über die Zukunft Bosniens beraten sollten. Er forderte das kollektive Präsidium von Bosnien-Herzegowina am Sonntag ultimativ auf, die am Samstag beschlossene Mobilmachung der Bürgerwehr und der Polizeireservisten binnen 14 Stunden zu widerrufen. Falls die Mobilmachung aufrechterhalten werde, könne er nicht für die Aktionen der serbischen Milizen in Bosnien geradestehen, sagte Karadzic im serbischen Fernsehen von Novi Sad.
Die Panzer der jugoslawischen Bundesarmee sind seit Freitag in Bijeljina, 150 Kilometer nordöstlich von Sarajevo, stationiert. Die serbischen Medien feierten die Eroberung des mehrheitlich moslemischen Bijeljina als „Befreiung“. Bei den heftigen Zusammenstößen in Bijeljina waren in den Tagen zuvor nach einer Bilanz von Radio Sarajevo 24 Menschen getötet worden. In der nordbosnischen Stadt Bosanski Brod gingen am Samstag die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen serbischen und moslemisch-kroatischen Milizen ebenfalls weiter. Nach Angaben von Radio Sarajevo waren dort in den vergangenen Tagen etwa 40 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden.
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