: Kurden-Problematik ausgeklammert
■ betr.: "Vom Wachhund zum Partner", taz vom 3.4.92
betr.: „Vom Wachhund zum Partner“, Gastkommentar von Zafer Senocak, taz vom 3.4.92
Wie die Filmaufnahmen der Demonstrationen in Cizre und Nusaybin anläßlich der Newroz-Feierlichkeiten deutlich vor Augen führen, haben die Armee- und Polizei-Einheiten ein blutiges Massaker an der friedlichen und schutzlosen kurdischen Zivilbevölkerung ausgeübt. Die Vorbereitungen für ein solches Vorgehen liefen seit Anfang des Jahres, wie auch die Verantwortlichen des türkischen Staates, allen voran der Staatspräsident Turgut Özal, Innenminister Ismat Sezgin, Generalstabschef der Armee General Güres und zuletzt der Leiter des türkischen Geheimdienstes MIT, T.Koman öffentlich angekündigt hatten. Den Zeitungsberichten können die entsprechenden Äußerungen entnommen werden.
Verwunderlich für mich als Kurde ist, daß die sogenannten türkischen Demokraten und Progressiven, wie auch Euer Gastkommentator sich gerne nennen würde, bei der ganzen Diskussion der letzten Ereignisse, die Kurden-Problematik geschickt auszuklammern versuchen. Sie nehmen dabei eine künstliche Trennung zwischen der türkischen Regierung und dem türkischen Staatsapparat vor, was natürlich nicht stimmt. Die leeren Versprechungen der Regierung weckten Illusionen bei vielen, auch bei Kurden. Die Taten jedoch blieben bis heute aus. Die vergangenen Amtsperiode der Regierung, bestätigte uns Kurden wieder einmal, daß bei der staatlichen Kurden-Politik der Türkei Kontinuität bewahrt wurde, trotz einiger Dissensen zwischen der Regierung und der Armee-Führung in Detailfragen, jedoch nicht in der grundsätzlichen Herangehensweise. Wie diese aussieht, erfuhren Tausende Kurden am eigenen Leibe.
Das Neue bei der Kurden-Politik der Demirel-Inönü-Regierung ist, daß sie nach siebzigjähriger Verleugnung, die Existenz der Kurden in der Türkei „anerkannt“ hat. Ansonsten hat sich für die Kurden in der Türkei nichts zum Besseren gewandelt. Die 13 kurdischen Provinzen stehen nach wie vor unter Ausnahmezustand. Die Menschenrechte in diesen Provinzen sind, wie auch dem Europarat im August 1990 offiziell mitgeteilt wurde, immer noch außer Kraft. In der Region operieren Todeskommandos (Kontraguerilla), die sich aus Angehörigen der Spezialeinheiten, Polizei und des Geheimdienstes MIT zusammensetzen. Bis heute wurden über 70 kurdische Lokalpolitiker und Patrioten Opfer dieser Todesschwadronen. Folter und Staatsterror gehören zum Alltag der Kurden.
Die Herausgabe einer kurdischen Wochenzeitung, die erst seit kurzem erscheint, wird noch „geduldet“, die andere hat aber schon nach der ersten Nummer ihr Erscheinen wegen anhaltender Repressalien eingestellt. Kurdische Parteien und Organisationen sind weiterhin nicht zugelassen. Der Gebrauch der kurdischen Sprache bei amtlichen Vorgängen, im Erziehungsbereich sowie im Radio und Fernsehen ist immer noch verboten. Die vielleicht größte Errungenschaft der Regierung ist: Man darf im privaten Leben kurdisch sprechen! Wahrscheinlich wegen Polizeimangel.
Ich bitte Euch, bei solchen Anlässen auch die Kurden als direkt Betroffene zu Wort kommen zu lassen, nicht nur Schönwetterdemokraten, die wir aus der Türkei schon zur Genüge kennengelernt haben. M.Kisabacak, Köln
betr.: dito und „Jenseits der Opferrolle“, Kommentar von Andrea Böhm
Die Meinungsäußerungen türkischer Linker zum Kurdistankonflikt erinnern etwas an die von Eichendorff (Libertas Klage, 1849 insbes. Str. 4 u. 6) aufs Korn genommene Haltung deutscher Fortschrittsfreunde, die, selbst in Opposition, die Niederschlagung des Aufstandes in der Tschechoslowakei begrüßten, da sie der Auffassung waren, auch diese gehöre zum Reich. Volker Nass, West-Berlin
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