: Die Wahlen waren kein Ausrutscher
■ Die Infas-Analyse verortet die WählerInnen der Rechtsradikalen in verschiedenen sozialen Milieus/ Insbesondere junge Männer gaben den Reps und der DVU ihre Stimmen
Bonn (dpa) — Verluste der Großparteien, Gewinne der kleinen und insbesondere Rechten, geringe Wahlbeteiligung: Ganz neu sind diese Tendenzen nicht, schreibt das Institut für angewandte Sozialwissenschaften (Infas). Bereits vor drei Jahren, bei den Wahlen zum Europaparlament, hatten sie sich in beiden Ländern in nahezu den gleichen Wähleranteilen wie am letzten Sonntag niedergeschlagen. Die Regionalwahlen in Frankreich vor zwei Wochen haben gezeigt, daß es nicht nur um ein deutsches Problem geht, sondern um strukturelle Veränderungen im politischen System.
Folgende Tendenzen sind ausschlaggebend gewesen:
Weitverbreitete Verunsicherung, ja Zukunftsängste angesichts drohender Wirtschaftsflaute und sozialer Belastungen
-Eine Projektion solcher Ängste auf Ausländer
-Die offen bekundete Bereitschaft, Rechtsparteien als politische Alternative zu sehen.
-Kritik am politischen Stil der etablierten Parteien
Die stärksten Einbußen hat die SPD in den großen Städten erlitten. In Lübeck und Kiel hat sie mehr als zwölf Prozentpunkte verloren. Das signalisiert ein Abbröckeln im Arbeitermilieu. In den beiden großen Städten haben Liberale und Grüne auf Kosten der Sozialdemokraten deutlich mehr zugelegt als im Landesdurchschnitt. Die DVU hat in Lübeck und Neumünster den stärksten Zulauf (über neun Prozent) erhalten. Das wichtigste Reservoir der DVU waren frühere SPD-Wähler in den einfachen städtischen Wohnquartieren. Die Wanderungsbilanz von infas weist hier einen Gewinn von rund 30.000 Wählern aus, fast doppelt soviel wie von der CDU. Die CDU konnte ihre Verluste nach rechts in etwa durch Rückgewinne von früheren Abwanderern zur SPD ausgleichen.
Das Resultat war für die beiden großen Parteien in Baden-Württemberg noch desolater als in Schleswig- Holstein. Die SPD hat ein wenig von den CDU-Verlusten profitiert (im Saldo rund 50.000 Wähler), aber weit mehr an den rechten Rand abgegeben, an die „Republikaner“ allein rund 110.000. Die CDU hat in alle Richtungen Wähler eingebüßt, rund 170.000 zu den Reps. Die Grünen erhielten viel Zulauf von der CDU, etwas weniger von der SPD.
Daß die „Republikaner“ im Südwesten der Republik mehr Resonanz gefunden haben als je eine rechtsradikale Formation zuvor, liegt am relativ guten Abschneiden bei früheren Wahlen und der damit geschaffenen organisatorischen Basis, vor allem aber an der Tatsache, daß sich ihre Klientel in zwei ganz verschiedenen Sozialgruppen festmachen läßt: einerseits großstädtische Wähler im sozial schwachen Milieu; andererseits kleinstädtische und kleinbürgerliche Wähler. Am meisten Anhänger haben sie im Raum Pforzheim und im mittleren Neckartal gefunden, am Rande des Stuttgarter Ballungsraumes, mit Anteilen von weit über 15 Prozent. Am wenigsten Zulauf erhielten sie im Regierungsbezirk Freiburg.
Die rechtsradikalen Gruppierungen in beiden Ländern konnten besonders unter den jungen Männern von der Formschwäche der Etablierten profitieren. In Baden-Württemberg erreichen „Republikaner“ und übrige Rechtsparteien gemeinsam über 20 Prozent bei den unter 25jährigen, in Schleswig-Holstein versammeln DVU und „Republikaner“ fast 15 Prozent hinter sich. Die Frauen unter 35 Jahren wählten die Grünen deutlich überproportional.
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