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Des einen spätes Leid war des anderen späte Freud

■ Schleswig-Holsteins Grüne wurden für Stunden zwischen 4,9 und 5,0 Prozent hin- und hergerissen — am Ende fehlten ihnen 397 Stimmen für den Kieler Landtag

Was war die grausamste Erfahrung für Sysiphos? Sicherlich, als er zum ersten Mal mit seinem Stein auf der Spitze des Berges anlangte und ihm— als der Fels wieder herunterrollte — dämmerte, daß sich die ganze mühsame Prozedur wiederholen würde. So ähnlich müssen sich Sonntag nacht die norddeutschen Grünen gefühlt haben. Nachdem Schleswig-Holsteins Wahllokale geschlossen hatten, wurden die Alternativen stundenlang zwischen hochgerechneten 4,9 und 5,0 Prozent hin- und hergerissen.

Ausgeraufte Haare und abgeknabberte Nägel zierten ihren Versammlungsraum. Gegen 22 Uhr erfüllte ihnen der Wahlleiter den Traum vom Einzug ins Landesparlament. Spitzenkandidatin Irene Fröhlich tanzte im Plenarsaal und freute sich auf die „Pikanterie“, mit dem Kanzlerkandidaten der SPD Koalitionsverhandlungen zu führen.

Doch schon zwei Stunden später war die Hoffnung der grünen Partei einer Sysiphos-Erkenntnis gewichen: Wieder nichts! Der Wahlcomputer hatte falsch gerundet — von 4,97 auf glatte fünf Prozent. Den Grünen fehlen 397 Stimmen, um im Landeshaus an der Kieler Förde Platz zu nehmen. Ihnen bleibt jetzt nur ein Trost: Gewählt wurden sie von all jenen, denen die von Ministerpräsident Björn Engholm versprochene Wende im Land weder schnell noch weit genug ging.

„Mehrheit ist Mehrheit“, so die SPD-Devise

„Der Klärschlamm, die Ostseeautobahn und das Landesnaturschutzgesetz haben uns die Suppe verhagelt“, bemühte der Sprecher von Umweltminister Heydemann ein schiefes Bild, um die Frustration der Links- Alternativen zu beschreiben. Den von Energieminister Jansen ständig versprochenen Atomausstieg — den Engholm inzwischen erst für möglich hält, wenn man in Bonn ein „Kernenergieausstiegsgesetz“ bastelt — hat er dabei noch unterschlagen.

Was des einen spätes Leid, ist des anderen späte Freud. Als die Niederlage der Grünen bekannt wurde, gab es wieder Freudentänze. Diesmal vom Ministerpräsidenten persönlich, der auf der Wahlparty das wohlbehoste Bein zur Rockmusik schwang. „Mehrheit ist Mehrheit“, kommentierten die Sozialdemokraten ihren Ein-Stimmen-Vorsprung, den sie dem Verlust der grünen Mandate verdanken. Durch die ursprünglich 18 Überhangmandate hätte die SPD mit ihren 45 Sitzen — die alle direkt gewonnen wurden — nur mit einer Koalition regieren können. Kaum waren die Grünen weg, reduzierte sich der Überhang auf 14 Sitze, die Landtagsmandate auf 89 und die Lust der Sozis auf einen Regierungspartner auf Null.

Ganz so knapp, wie es rechnerisch aussieht, wird der Regierungsspielraum der Sozialdemokraten nicht sein. Denn faktisch kann sich die SPD immer auf die Unterstützung von Karl Otto Meyer verlassen, den Kandidaten des Südschleswigschen Wählerverbands. Ohne den Vertreter der dänischen Minderheit wäre das Kieler Parlament gar nicht mehr denkbar. Man munkelt sogar, er wäre im Land beliebter als Björn Engholm.

Der bemühte sich, die Landtagswahlen in Kiel und Stuttgart als „Kanzlerwahl“, statt als „Kanzlerkandidatenwahl“ zu apostrophieren. „Das ist keine schlechte Ausgangslage für Bonn“, schönte er den Verlust von acht Prozent Wählerstimmen im Norden. Sicher ist jedoch — ohne den Teflon-beschichteten Politik-Vermittler wäre die schleswig- holsteinische SPD nie an die absolute Mehrheit herangekommen. Und sicher ist auch, daß die CDU bundesweit mehr Grund hat zu blankem Entsetzen.

In Baden-Württemberg ist die christdemokratische Mehrheit dahin, in Schleswig-Holstein hat der graumausige Spitzenkandidat Hennig seine Partei nicht gerade einem Jungbrunnen zugeführt. Oppositionsführer in Kiel will er trotzdem werden — in Bonn hat er schließlich seit Stoltenbergs Abgang keinen Job mehr. „Das ist wirklich kein Grund zum Feiern, höchstens zum Saufen“, motzte der Fraktionsgeschäftsführer Füllner nach dem Wahlergebnis. Daß die CDU die Quittung für die Spätfolgen der Barschel-Affäre und die mangelnde Erneuerung erhalten hat, wird vehement bestritten. Klar ist aber, daß auch bundespolitische Themen ihr im Norden die Stimmen abgegraben haben: von der Staatsverschuldung bis zu den Lügen über die Kosten der Einheit, von den explodierenden Mieten bis zu Kohls Wunsch nach Luxusfliegern als Staatskarossen.

Auch die Wählerabwanderung bei der SPD kam nicht der CDU zugute. Vielmehr franst das Wahlvolk— trotz Engholms vielbeschworener Integrationspolitik — nach links und rechts aus. „Es ist zum Heulen“, kommentierte der sonst so emotionslose Hennig den Erfolg der DVU. Ähnlich wie die Sozis hatten auch die Christdemokraten deren Wahlsieg „nicht im Szenario“. Zusammen kommen die „Deutsche Volksunion“ und „Republikaner“ auf acht Prozent in Schleswig-Holstein; besonders stark sind sie in den Industriestädten Neumünster und Lübeck— traditionellen SPD- Hochburgen. Doch sicher ist, daß nicht nur die Unterprivilegierten den Rechten ihre Stimme gegeben haben. Auch jede Menge Wohlstands- Chauvinisten verhalfen ihnen bei beiden Landtagswahlen zum Erfolg.

Dem Spitzenkandidaten der Ausländerhasser wurde nach der Wahl eine höchst peinliche Frage gestellt. „Ingo Stawitz“, meinte ein Journalist zu dem DVU-Mann, „das hört sich so polnisch an.“ „Muß ich darauf antworten?“, fragte der Rechtsradikale, wandt sich und ward für den Rest des Wahlabends samt Kumpanen nicht mehr gesehen. Bascha Mika, Kiel

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