piwik no script img

Die Kinder der Überlebenden

■ Zeitkritische israelische Filme im Beiprogramm der »Jüdischen Lebenswelten« im Martin-Gropius-Bau

Noch bis zum 26. April zeigt das Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus von Mittwoch bis Sonntag um 17 und 20 Uhr jüdische Filme aus verschiedenen Ländern. Ein Teil der Filme wird im Arsenal wiederholt.

Den Bilderbogen, auf den der Nahe Osten als »Problemregion« im CNN-Sucher zusammengeschnurrt ist, kann man diese Woche im Gropius-Bau ein wenig auffalten: Fünf Spielfilme und drei Dokumentarfilme erhellen einige der Zerreißproben, unter denen die israelische Gesellschaft steht, werfen ein Schlaglicht auf die schwindelerregende Vielfalt von Positionen, die dort anzutreffen sind. Das ständig laufende Radio als Leitmotiv fast aller dieser Spielfilme signalisiert das nervöse Bewußtsein der Abhängigkeit des Staates vom Lauf der Welt.

Die ersten beiden, Noa at 17 (1982) von Itzhak Yeshurun und Nadav Levitans Stalins Schüler (1988), blicken aus ratloser Gegenwart zurück in die fünfziger Jahre, die Zeit nach der Staatsgründung, als sich, unter der Ägide von Ministerpräsident Ben Gurion, die Gleichsetzung von Zionismus mit Sozialismus aufzulösen begann und das Land in einen westlichen Kapitalismus aufbrach. Die 17jährige Noa (Dalia Shimko) verkörpert in der Ikonographie des israelischen Kinos das Idealbild der Sabra, der in Israel geborenen Generation (damals nur etwa 5 Prozent der Bevölkerung), die im Gegensatz zu ihren von der Diaspora und dem Getto-Dasein geprägten Eltern »unideologisch«, individualistisch ist — wie die Wüstenpflanze Sabra: »außen zäh und innen zart«.

In der klaustrophobischen Enge einer Stadtwohnung finden Streitgespräche zwischen moskautreuen Kibbuzniks und liberalen Mapainiks statt — der Riß in der Kibbuz-Bewegung geht mitten hindurch durch die Familien und die Paare. Noas erste sexuelle Erfahrungen mit einem etwas dümmlichen Burschen aus der zionistischen Jugendbewegung fallen zusammen mit dem Verlust an ideologischer Standfestigkeit. Der Film läßt zum Schluß nur noch einen geläuterten Individualismus als Leitfaden gelten (heute abend).

Stalin's Disciples (1988) war wohl als Komödie angelegt, gewinnt aber im Verlauf der Handlung soviel Tiefenschärfe, daß einem das Lachen im Halse steckenbleibt. Schauplatz ist ein Kibbuz im saftig-grünen Tal. In dessen ideologischer Zentrale, einer von drei bärenstarken Kerlen betriebenen Schusterei, hat man Stalin einen Altar errichtet. Die unangefochtene Herrschaft der drei wird erschüttert, als ein Teil der Kibbuzniks aus Deutschland »Wiedergutmachungs«-Zahlungen erhält, mit deren Hilfe eine Familie auswandert und eine behinderte Frau sich in Amerika operieren läßt. Gleichzeitig bringt das Radio die Nachricht von Stalins Tod und sehr bald auch erste Berichte über Lager, Schauprozesse und Judenverfolgungen in der Sowjetunion.

Der Film ist eine Studie in israelischer Ikonographie: Stalins Porträt gegen abstrakte Kunst, rote Fahnen gegen die Fahne des Zionismus, kräftige Landarbeiterhände gegen graue Stadtgesichter, rote Stöckelschuhe auf grünem Rasen. Sogar die Bücherverbrennung des Kommunistischen Manifests bleibt nicht ausgespart (Donnerstag abend).

Daß die Überlebenden des Holocaust schlecht in die Aufbruchstimmung im ländlichen Israel paßten, ist nicht schwer zu verstehen. Einige der komplexesten Filme, die je zu diesem Thema gedreht wurden, sind diese Woche zu sehen: Tel Aviv: Berlin (Trope, 1987) zeichnet ein Szenario aus Kostümen der vierziger Jahre, die sich im levantinischen Sommerklima bewegen. Aus Berlin stammende Überlebende der Shoah treffen sich in Tel Aviver Nachtclubs. Lange bevor sie die Nummern auf dem Arm sehen, erkennen sie sich »instinktiv« in der tanzenden Menge. Die »erlesene Schönheit« der Frauen, die mit SS-Männern Kartenspiele um sexuelle Verfügbarkeit spielen mußten, und der sephardisch aussehende Hauptdarsteller im Borsalino, der seiner israelischen Frau während heißer Liebesszenen von Auschwitz erzählt, evozieren ein schwindelerregendes Nebeneinander von Sex und Grauen. Die Überlebenden finden sich in Enklaven zum Schachspiel zusammen und singen Lieder aus der Winterreise. Hochkultur steht gegen levantinisches Bauerntum.

Fast wirkt es, als habe Auschwitz »erlesene Menschen hervorgebracht«, das Schuldgefühl der Verschonten ist da zu spüren. »Wir mußten erst über dreißig Jahre alt werden, bevor wir uns mit dem Thema Holocaust und was er für unser Verhältnis zu unseren Eltern bedeutet, befassen konnten, meint die Regisseurin Orna Ben Dor-Niv, auf die ich zurückkommen werde.

In The Summer of Avya (Eli Cohen, 1988) wird die Geschichte der Tochter einer Partisanin erzählt. Sie verbringt einen Sommer auf dem Dorf, wo ihre Mutter lebt — abgeschieden von allen andern. Das Wort »Holocaust« fällt kein einziges Mal, aber die Mutter schert der Tochter sofort nach deren Ankunft den Kopf, hat rasende Kopfschmerzattacken und wird von den anderen Dorfbewohnern als »meschuggene Partisanke« gemieden — ein Pariah im Israel der fünfziger Jahre. Ihr Haus liegt einsam, auch die Kamera hält Abstand.

Eines Nachts klopft ein hohlwangiges Gespenst mit Augen wie Brunnenschächte an ihr Fenster: Es ist ein Freund aus Majdanek. Sie sprechen leise Jiddisch, er steckt sich heimlich Brot ein. Als die Mutter schließlich nicht mehr weiß, ob sie die Fenster aufreißen soll, weil sie erstickt, oder verriegeln, weil sie Angst hat, und als Avija sie auch nicht mehr beruhigen kann, wird sie in eine Anstalt gebracht.

Auch in Orna Ben Dor-Nivs Film, Because of that War (1988) wird in Interviews beschrieben, wie die Kinder von Überlebenden zu Eltern ihrer Eltern werden; was es bedeutet, statt mit Märchen mit Erzählungen von Abschieden in Treblinka oder Zugfahrten von Warschau nach Majdanek aufzuwachsen. »Wenn ich schlechte Noten nach Hause brachte, sagte meine Mutter: ‘Wie schade, daß ich aus Auschwitz rausgekommen bin, und meint Kind jetzt nicht wird wie eines von deutschen Eltern‚«, heißt es an einer Stelle.

Am Wochenende sind auch Dokumentarfilme von Chris Marker und Claude Lanzmann zu sehen, die beide nach Berlin kommen werden. Mariam Niroumand

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen