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EIN KÖNIGLICHES BEGRÄBNIS FÜR EINE LADENDIEBIN Von Ralf Sotscheck

Die Ansammlung von Trauergästen auf dem Lambeth-Friedhof in Süd- London war für jeden ehrlichen Polizisten ein Alptraum: Hinter den dunklen Anzügen und schwarzen Kostümen verbargen sich Großbritanniens gerissenste LadendiebInnen, ein genialer Zugräuber und andere Mitglieder der Unterwelt. Sie gaben einer der ihren das letzte Geleit: Shirley Pitts, Königin der Ladendiebe, war vor kurzem im Alter von 57 Jahren an Krebs gestorben. Und wie eine Königin wurde sie beerdigt. Der Trauerzug von ihrem Haus in Essex zum 30 Kilometer entfernten Friedhof bestand aus 15 schwarzen Limousinen. Ein Gitarrist und ein Trompeter spielten Irving Berlins Ich bin im Himmel. Die Polizei bestreitet das wahrscheinlich. Die Beamten, die sie zeit ihres Lebens gefoppt hatte, mußten ein letztes Mal eine Demütigung einstecken und die Straßen in Lambeth für den Leichenzug sperren. Um das Modellkleid, das die Tote trug, hat sie vermutlich sogar die echte britische Königin beneidet. Die blaue Designer-Kreation — „ehrlich bezahlt“, wie einer der zwielichtigen Gäste beteuerte — hat schlappe 5.000 Pfund (knapp 14.000 Mark) gekostet. Shirley Pitts, die in Lambeth geboren, im Krieg jedoch nach Yorkshire evakuiert wurde, begann ihre Karriere im zarten Alter von sieben Jahren. Mit 20 galt sie bereits als eine der Besten ihres Fachs. Sie hatte eine Reihe von Angestellten, die mit ihr durch das Land zogen und exklusive Läden um ihre exklusive Ware erleichterten. Sie war auch eine der ersten, die den europäischen Gedanken verwirklichten. Lange bevor die Politiker auf die Idee des freien Verkehrs von Waren und Dienstleistungen verfielen, arbeitete sie mit ihrem Team in Paris und Genf. „Ihr Lieblingsgeschäft blieb jedoch immer Harrods“, versicherte ihr aus der Art geschlagener Sohn Christopher (er ist ein grundanständiger Architekt). Das größte Kaufhaus Europas honorierte diese Treue zwar nicht durch einen Kranz, doch einer der Gäste legte ihr eine grüne Harrods-Einkaufstüte und einen Strauß Lilien im Harrods-Papier aufs Grab. Ihre Einkaufstouren gingen allerdings nicht immer gut. Dreimal mußte sie ins Gefängnis. Ihr erster Knastaufenthalt währte freilich nicht allzu lange: Auf dem Weg vom Halloway-Gefängnis zur Berufungsverhandlung sprang die Hochschwangere aus dem Transporter, damit ihr Kind — eins von sieben — nicht im Gefängnis geboren würde. Der Pfarrer bat seinen obersten Vorgesetzten, bei seinem Urteil beide Augen zuzudrücken. Für die Trauergemeinde war es jedoch keine Frage, daß Shirley Pitts in den Himmel kommen würde. Schließlich habe sie niemals einen Kollegen oder eine Kollegin verraten, erklärte einer von ihnen. Viele dieser KollegInnen hatten Blumen und Kränze geschickt, da sie wegen Urlaubs auf Staatskosten nicht persönlich erscheinen konnten. Dazu gehörte auch ihr Bruder Charlie, der zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er eine Frau entführt und gefoltert hatte. Shirley Pitts, die Gewalt strikt ablehnte, hatte deshalb den Kontakt zu ihrem Bruder abgebrochen. Ihr anderer Bruder Henry, ein Bankräuber, war im Alter von 29 Jahren bei einem Autounfall gestorben und ist ebenfalls in Lambeth begraben. „Sie war noch von der alten Schule“, sagte ein Freund. „Eine gute Frau, die sich immer um diejenigen kümmerte, die für sie zählten.“ Ein 60 Zentimeter großes Blumengebinde formte zwei Worte, die ihr Leben zusammenfaßten: „Bin einkaufen.“

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