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Algenteppich im Hirn

■ Uraufführung eines kleinen Karge-Dramoletts in Essen

Das Phlegma leuchtet in blassem Neon und teilt die Zuschauer in zwei Hälften. Mitten in das kleine Essener „Studio im Grillo- Theater“ hat der Bühnenbildner Andreas Jander den Warteraum einer Kuranstalt gebaut, mit grellem Kachelfußboden und einer weißen Wendeltreppe. Nichts ist hier lebendiger als die Zuschauertribüne auf der anderen Seite. Eine tote Bühne gleichwohl für ein totes Theater — hat man das Stück durchschaut, glotzt man halt durch das Stück durch: in die Augen des müden Intendanten Heyme etwa oder zu dem Autor Manfred Karge, der über seine eigenen Pointen fröhlich schmunzelt. Und man hat sein Stück schnell durchschaut, zumal die Regie von Günter Overmann während neunzig langer Minuten keine Anstalten macht, die zwei Kurgäste „Der eine“ und „Der Andere“ aus diesem einfältigen Textmonster mit Namen Killerfische zu befreien.

Das Prinzip von Karge heißt Neurose: „Der Eine“ des ungebremst stammelnden Michael Evers ist ein öliger Lehrer (Latein) und „Der Andere“ des fragilen Rudolf Cornelius der nervöse Inhaber einer chemischen Reinigung — in der Kur-Kachelhöhle sind sie zur Schicksalsgemeinschaft verschweißt und warten auf ihre Anwendungen.

Das klingt natürlich nach Godot, ist aber Karge — soll meinen: Alles soll etwas bedeuten. So spielt das Stück im nahen Ausland, und deshalb sagen die Männer: „Es ist eben alles anders hier!“ oder: „Kochen und Massieren, darin sind sie Meister!“ Es geht indes von der Fremdenfeindlichkeit zur Frauenfeindlichkeit, und es geht vom Ozonloch stracks zur Algenpest. Die Phrasenstapelei korrespondiert mit einem absaufenden Rhythmus; die Opfer dieser verwaschenen Mischung aus Unsinn und Aussage sind die Figuren, deren Entwicklung zuerst den Autor, dann den Regisseur und schließlich auch uns Zuschauer nicht mehr interessiert: nicht mehr die Darstellung der kommunikativen Aussichtslosigkeit, in der „Der Eine“ in glattem Intellekt triumphiert und „Der Andere“ vom „Killerfisch-Verein“ erzählt, und auch nicht mehr die verzweifelte Käfig- Stammelei der „Insassen“, die ihre labernde Enge der Größe einer globalen Katastrophe „draußen“ gegenübersetzen.

Unsinn und Unzulänglichkeit berühren nicht und amüsieren nicht. Das kleine böse Stück, das Killerfische werden sollte, wurde so ein kleines blödes Stück mit Moral. Die beiden weißen Schleicher in ihren weißen Schlappen, von denen immerhin Rudolf Cornelius in darstellerischer Hinsicht sein Bestes gibt, sind schwitzende Schachfiguren und sagen Sätze wie: „Ein Algenteppich schießt mir durchs Hirn!“

Das Ende ist — wir hatten es nicht anders erwartet — apokalyptisch und albern. Der Wahnsinn hat endgültig im „Anderen“ sein Opfer gefunden, die Killerfische im Kopf sind zur ausgewachsenen Mörderneurose mutiert und „zerteilen den schleimigen Teppich“. Der Inhalt ist haltlos, die Form ist formlos. Und Minus mal Minus ergibt bei dieser Uraufführung Null. Der Beifall für Autor, Regie und Darsteller ist zu mau, um wahr zu sein. Alexander Gorkow

Manfred Karge: Killerfische. Regie: Günter Overmann. Bühne: Andreas Jander. Mit Michael Eves und Rudolf Cornelius. Studio im Grillo-Theater. Nächste Aufführungen: 8., 21., 22. und 23.4.

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