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PORTRAITDie „Ligen“ — Italiens unbekannte Wesen

■ Die unbestrittenen Wahlsieger, die als „rassistisch“ und „chauvinistisch“ geschmähten Gruppen, werden zum europäischen Menetekel: Die „Lega nord“ des Umberto Bossi (44) setzt auf Autonomie des reichen Nordens

Umberto Bossi (44) strahlt derzeit trotz seiner Hagerkeit wie ein Honigkuchenmännlein. Der Chef der mit achteinhalb Prozent ins Parlament gewählten „Lega nord“ faßt seine Analyse des Wahlergebnisses in einem dürren Satz zusammen: „Das vereinigte Italien gibt es nicht mehr.“ Da hat er wohl recht — und auch wieder nicht.

Zwar haben Bossis Wähler mit ihren in Norditalien fast 20 Prozent Stimmen deutlich gemacht, daß sie nichts sehnlicher wünschen als „der römischen Vergewaltigung zu entkommen“ (so ein Flugblatt in Mailand); doch wie weit und wohin genau sie entkommen wollen, wissen sie auch nicht so recht. Klar ist nur eines: Bossi hat mit einem oft sogar recht wirren Mischmasch aus rassistischen und ökonomischen, dazwischen auch ökologischen und großmachtorientierten Programmpunkten eine Anziehungskraft entwickelt, die noch vor zwei, drei Jahren unmöglich erschien. Eine konkrete Einorndung in das politische Spektrum ist daher schwerig — auch wenn der Erfolg der „Liga“ dem Ausland vorschnell als ein Sieg der Ausländerfeindlichkeit erscheint. Doch so einfach liegen die Dinge nicht.

Bossi geht hausieren mit einem zunächst simpel erscheinenden Rezept: Wir arbeiten hart, verdienen Geld — und dann nimmt man es uns weg. „Man“, das sind alle, die dem Geldverdiener Steuern auferlegen, aber auch alle, die ihm Konkurrenz machen, etwa zugezogene Arbeiter aus dem Süden, Immigranten und Firmen, die sich in die Region drängen. Und eben die will Bossi loswerden. Bei Postenbesetzungen wie Wohnraumvergabe, bei der Zuweisung von Kindergartenplätzen und der Einschulung soll es Landeskinderbonusse geben; wer nicht aus der Lombardei, Piemont, dem Veneto, Ligurien oder der Emilia Romagna stammt, sollte sich anderweitig nach Plätzen umsehen. Daß bei einer Verwirklichung solcher Pläne die eigene Region sehr schnell ausbluten würde, verschweigt Bossi vornehm.

Geschickt verstehen er und seine Mitkämpfer so zu formulieren, daß man rein „rassistische“ Vokabeln kaum findet — alles dreht sich um eine „gerechte Verwendung unserer Gelder“, um die „Vorbeugung gegen soziale Spannungen“, um die „Vermeidung von Massenauswanderung unserer engeren Mitbürger“. All das kann — nach Ansicht der „Ligen“ — nur vor Ort selbst, nicht aber aus dem fernen Rom gelenkt werden. Mit der EG und den internationalen Organisationen will Bossi künftig autonom verhandeln. Italien soll in eine eher lose Konföderation dreier Großregionen — Nord, Mitte, Süden — aufgespalten und nur in der— „derzeit sowieso immer bedeutungsloseren“ — Außenpolitik tätig werden dürfen. Wobei er seine eigene Region durchaus als ausdehnungsfähig ansieht; das italienischsprachige Tessin, Nordtirol, auch die Italien verbundenen Teile Kroatiens und Sloweniens (Istrien und sogar Dalmatien) könnte er integrieren. Ein zugkräftiges Argument — letztlich hat er auf diese Weise den auf eine neue Hegemonie auf dem Balkan zielenden Neofaschisten eine Reihe von Wählern abgenommen.

Wahlforscher haben ermittelt, daß er mit alledem bei fast allen Schichten ankommt, in alle traditionellen Parteien eingebrochen ist. Nur bei der Oberschicht hat er nicht soviel Erfolg. Das aber hat seinen Grund. Denn die haben, so ein böser Spruch, ihre eigene „Liga“: Die Republikanische Partei, gesponsert von der Fiat-Familie Agnelli, hat mit ersten Ansätzen zur Reduzierung der „Fremdlinge“ im Land, der antirömischen Attitüde ihres vorsitzenden La Malfa und einer Reihe von Einwendungen gegen Nachteile bei der europäischen Integration Bossi den an sich erwarteten Sprung über die Zehnprozentmarke verwehrt.

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