Kinderparadies in Köpenicks Tundra

■ Das Freizeit- und Erholungszentrum in der Wuhlheide bietet mit Eisenbahn, Pferdekoppel, Gewächshaus und Rodelbahn ein Paradies für Kinder/ Freizeitangebot mit Bildungsanspruch/ Besonders begehrt ist der Sputnikflug in der Kosmonauten-Schule

Köpenick. Alarmstufe Rot. Der 11jährigen Kosmonautin Sandra stehen Angst und Schrecken ins Gesicht geschrieben. Noch vor wenigen Minuten hatte sie im Kontrollzentrum Moskau den Gleichgewichtstest bestanden und war mit einem Sputnik erfolgreich um Erde und Mond geflogen. Doch ausgerechnet beim Landeanflug ging nun irgend etwas schief. »Blöde Ostrakete«, schimpft die Schöneberger Schülerin und aktiviert den Schleudersitz, der sie erst in das All hinausschnellen läßt und dann über eine Rutsche wohlbehalten zur Erdstation zurückbringt.

Die Kosmonauten-Schule ist eine der begehrtesten Attraktionen des FEZ, des Freizeit- und Erholungszentrums in der Wuhlheide. Noch hinter der Köpenicker Altstadt, wo Westberliner nur Steppe und Tundra vermuten, beherbergt ein 120 Hektar großer Waldpark ein regelrechtes Kinderparadies. Im früheren »Pionierpark Ernst Thälmann« konnte der DDR-Nachwuchs schon vor dreizehn Jahren finden, was man auf den Spielplätzen von Prenzlauer Berg und Treptow bis heute vermißt. Eine Pferdekoppel etwa, ein Tropenhaus, eine Parkeisenbahn, mehrere Go-Kart-Routen, einen Badesee, Freilichtbühnen und Sportstadien. Herz des FEZ ist freilich der »Palast« mit Hallenbad und Modellbauwerkstätten, dessen Fassade aus Lärchenholz und getöntem Glas die gewohnte, triste realsozialistische Architektur durchbricht. Beim ersten Blick fühlt man sich an eine Mischung aus Schweizer Berghütte und Palast der Republik erinnert.

Seit Beginn der Osterferien hat das FEZ einen gewaltigen Besucherstrom zu verkraften. »Wir haben ein Freizeitangebot mit Bildungsanspruch«, erklärt Öffentlichkeitschef Holger Rüh stolz, und in seinen Worten schwingt der alte, sozialistische Freizeitbegriff mit. »Für Wessis bedeutet Freizeit doch meist nur abschalten und vor dem Fernseher sitzen, keinesfalls aber Arbeit, Unterricht oder Bildung.« Und tatsächlich: Statt sich auf Sat 1 oder Pro 7 die stupiden Zeichentrickfilme anzusehen, trainieren Kids vor dem FEZ-Palast mit ihren Fahrrädern das Slalomfahren oder proben ein Theaterstück. In der Eingangshalle des Palastes stehen Tische, an denen die Kleinsten basteln, schnippeln oder modellieren können — einfach so, ohne einen Erwachsenen zu fragen und ohne dafür zu bezahlen. Nur bei den wenigsten Veranstaltungen wird Eintritt genommen.

Und dennoch kommen die meisten Besucher — wenn man der absoluten Trabi-Mehrheit auf dem Parkplatz glauben darf — aus dem Ostteil Berlins. Das liegt weniger an den langen Anfahrtswegen für Steglitzer und Reinickendorfer, sondern am Hauch der DDR, der nach wie vor durch Gebäude, aber auch durch Inhalte des Freizeitzentrums weht.

»Wir knüpfen an die Hobbys der Kinder an«, verrät der pädagogische Leiter des FEZ, Manfred Biesant, das didaktische Konzept. »Die Kinder können selber bestimmen, was passiert«, ergänzt Holger Rüh. Während an Wochenenden vor allem Familien anreisen, machen sich werktags die Kids ganz allein auf den Weg zu über zweihundert Kursen und Arbeitsgemeinschaften, die im FEZ angeboten werden. Bei der Arbeit packen viele Kinder und Jugendliche mit an, etwa indem sie bei der Parkeisenbahn die Funktion des Schaffners oder der Stationsvorsteherin übernehmen. Ein 12jähriges Mädchen, daß im Tiergehege die Kaninchen füttert, fühlt sich im FEZ sogar »richtig zu Hause«.

Allerdings mache sich bei Ostberliner Kindern auch Desinteresse und Gewalt breit, beobachteten die pädagogischen Mitarbeiter des FEZ. »Früher waren die Kinder brav und lieb, das ist jetzt aus der Mode gekommen«, klagte Manfred Biesant. Schon zweimal habe er die Polizei rufen müssen. »Die Kinder nutzen die neuen Freiräume nur für Ungezogenheit statt für Selbstfindung«, zeigte sich Biesant enttäuscht. Aus der Sicht westlicher Eltern und Pädagogen ausgesprochen, wirkt das Treiben im FEZ dennoch harmlos. Man sieht kaum zerstörtes Gerät und nur selten Raufereien, selbst die Wände sind von Sprayern noch weitgehend unentdeckt geblieben. Auf den Abenteuerspielplätzen im Märkischen Viertel und in Kreuzberg weht ein ganz anderer Wind.

Um die Kids auch weiterhin ins FEZ zu locken, versuchen die Mitarbeiter, das Angebot ständig zu aktualisieren. Stark im Kommen sind vor allem die Computerkurse. Im März wurde darüber hinaus eine »Halfpipe« für Skateboardfahrer eröffnet und schon im letzten Jahr eine Rennstrecke für Mountainbiker in Betrieb genommen. Von Modernisierung soll allerdings auch das Kosmonautenzentrum nicht verschont bleiben. »Unsere Kollegen waren auf sowjetische Raumfahrt spezialisiert«, bedauert Holger Rüh, »nun verhandeln wir mit westlichen Raumfahrtunternehmen, von denen wir uns ein Sponsering erhoffen«.

Wer den ungewöhnlichen Flug im Sputnik noch einmal miterleben möchte, muß sich daher beeilen. Die hiesigen Konzerne werden es sich wohl nicht nehmen lassen, die sowjetische Minirakete durch ein »modernes« Modell des amerikanischen Space Shuttle zu ersetzen. Micha Schulze

Freizeit- und Erholungszentrum FEZ, An der Wuhlheide, Köpenick, zehn Minuten Fußweg vom S-Bahnhof Wuhlheide; Öffnungszeiten in den Osterferien: Mo.-Fr. 10 bis 17 Uhr, Sa. und So. 10 bis 18 Uhr; in der Schulzeit Mo.-Fr. 10 bis 21 Uhr, Sa. 13 bis 18 Uhr und So. 10 bis 18 Uhr.