: Vom Nachttisch geräumt: Kaderorganisation
Einen erschreckenden Einblick in die älteste, noch immer funktionierende Kaderorganisation bietet Worum es eigentlich geht von Eugen Drewermann. Das Buch dokumentiert die Auseinandersetzung zwischen dem Paderborner Theologen und Erzbischof Degenhardt. Auch wer mit dem erweckten Drewermann wenig anfangen kann, wen sein Leidenspathos abstößt, sollte in diesem Band wenigstens die Passagen über die Jungfräulichkeit Mariae oder die leibliche Auferstehung Christi lesen.
Drewermann versucht im Anschluß an eine lange Tradition der Exegese, die biblischen Texte symbolisch zu deuten. Er leugnet dabei nicht etwa die Möglichkeit der Jungfräulichkeit. Er will die Frage nur nicht der Gynäkologie überlassen. Die medizinische Seite soll nicht geleugnet, sondern nur ausgeklammert werden. Wer wie ich das Ganze für Mumpitz hält, wird mit dieser Position wenig anfangen können und jeden Hüter der katholischen Glaubenslehre, der die Auffassung vertritt, ein ordentlicher Arzt hätte bei Maria nicht nur nach Jesu Geburt, sondern auch nach der von Jesu Brüdern und Schwestern, ja sogar während deren Geburt, ein unversehrtes Hymen feststellen können, zwar für komplett verrückt erklären, ihn aber wenigstens verstehen können. Auch für mich gibt es in dieser Frage nur ein Entweder-Oder.
Drewermanns interpretatorische Kniffe stoßen ab. Sie wirken, als wolle da jemand einerseits naturwissenschaftlich, psychologisch vernünftig argumentieren, andererseits aber kein Wort sagen gegen den schlichten Wahnsinn, die infame Vergewaltigung von Verstand und Gefühl von Millionen von Menschen seit zweitausend Jahren. Liest man sich aber ein, so verschiebt sich der Blick. Man entdeckt einen zynischen Erzbischof, der freimütig erklärt, zentrale theologische Literatur nicht zu kennen, und freudig bekennt: „Für mich bleibt die ganze Geschichte ein Glaubensgeheimnis.“ Ein offener Zynismus, der seine Macht ausnutzt, um Argumente abzustechen. Man kann die kalte Wut dabei kriegen.
Drewermann ist verzweifelt. Was für den Agnostiker wie raffinierte Kniffe aussieht, ist Drewermanns hilfloser Versuch zu überleben. Er glaubt wirklich. Seine Sicht der Dinge hat er nicht eines Tages auswendig gelernt, und jetzt hört er andere ab, ob sie auch ordentlich ihre Aufgaben gemacht haben. Nein, er schließt die Augen vor dem Offensichtlichen ebenso verzweifelt wie ein gläubiger Marxist. Er interpretiert die Jungfräulichkeit Mariae nicht weniger raffiniert, aber auch nicht weniger aufgewühlt und engagiert wie andere das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate. Wie lang war die Liste der „entgegenwirkenden Ursachen“ geworden, bis man das Gesetz nicht mehr sehen konnte?
Worum es eigentlich geht dokumentiert nicht nur einen Prozeß im Paderborner Bischofshaus, eine „Säuberung“ der katholischen Kirche. Das Buch öffnet die Augen für die anderen Prozesse, Säuberungen und Maßnahmen dieses Jahrhunderts. Bei denen haben die Häretiker ja auch mehr an die Lehre geglaubt als die Vertreter der Kirche. War Wychinski Marxist? Bucharin war es ganz sicher mehr. Das machte ihm den Kampf nicht leichter. Daß er an die Partei glaubte, machte ihn zum sicheren Verlierer. Bei Drewermann sieht es nicht anders aus. Ein erschreckend wichtiges Buch.
Eugen Drewermann: Worum es eigentlich geht — Protokoll einer Verurteilung. Kösel-Verlag, 512Seiten, 34DM.
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