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Das Todesröcheln unserer Kultur

■ Über Neil Postmans neues Buch „Das Technopol“

Es war einmal eine Zeit, in der es noch eine Kindheit gab, wir uns noch nicht vor der Glotze zu Tode amüsierten, in der die Seßhaftigkeit dominierte und nicht die Mobilität, in der man Eltern, Pfarrern und vor allem Lehrern hörig war und nicht dem Walkman. Da lebten noch fromme Menschen in gesunden Familien, eingebettet in Traditionen und soziale Verantwortlichkeiten. Auch gab es gut funktionierende Institutionen, wie zum Beispiel die Schulen, die eine sinnvolle Kontrolle über Wissen und Informationen garantierten. Das war die „Adenauer“-, nein, pardon, die „Gutenberg-Ära“, und von Zeit zu Zeit wird sie, marktgerecht verpackt, neu beschworen.

Neil Postman, der Medienökologe, beschäftigt sich seit numehr 30 Jahren mit dem Verfall und Untergang der westlichen Kultur. In den Veränderungen der Kommunikationsformen durch die sogenannte optische und elektronische Revolution (Telegraf/Telefon/Rundfunk/Fotografie/Film/und vor allem Fernsehen) sieht er den Grund für alle politischen, psychologischen und sozialen Probleme. Und wie er mahnt, sich in Gleichnissen ergeht, Anekdoten zum Besten gibt, denunziert und lächerlich macht, hat durchaus Unterhaltungswert.

In seinem neuesten Buch nun vergleicht er den Zustand der US-Gesellschaft mit dem eines Patienten, dessen Ächzen in ein Todesröcheln überzugehen droht, da er sich als immunschwach erweist: Die Masse und die Geschwindigkeit der zirkulierenden Informationen kann nicht mehr erfolgreich abgewehrt werden. „Kultur-Aids“ nennt Postman dieses „Anti-Informations-Defekt-Syndrom“. Um dessen Ursachen und ihre Auswirkungen auf den Gesellschaftskörper geht es im Technopol.

Mit „Technopol“ bezeichnet Postman eine totalitäre Technologie, den Sieg einer neuen Weltsicht, die ihre Beglaubigung, ihre Befriedigungen und ihre Befehle ausschließlich aus sich selbst bezieht. Der Mensch ist nur noch Werkzeug seiner Werkzeuge und in seiner Einäugigkeit nicht fähig, die sich vollziehenden „geheimnisvollen“ Veränderungen wahrzunehmen, geschweige denn sie zu beschreiben. Er ist ent-mündigt.

Doch Neil Postman hat die protest-antische Kanzel betreten, und Pädagogen und Sozialarbeiter werden „die Herzen erheben“. Drei Kulturstufen kennzeichnen den Weg in die Apokalypse, in das Technopol. Zuerst war das die Werkzeugkultur. Dringende Fragen des Überlebens wurden mit neuen Techniken gelöst, ohne an Traditionen, an Erziehungsmethoden oder an gesellschaftlichen Organen zu rütteln. Es gab feste Ge- und Verbote, die alles Handeln bestimmten. Die Techniken waren eingebettet in spirituelle Kontexte, die es unmöglich machten, daß Menschen sich einer Technologie unterwarfen. Von den Werkzeugen konnte kein Angriff auf die bestehende Kultur ausgehen.

Dann bahnte sich die Aufklärung an, das technokratische Zeitalter hielt Einzug. Es brachte die Trennung von moralischen und intellektuellen Werten. Die Theologie trat auf eine Nebenbühne ab, statt dessen etablierte sich ein Glücksbegriff, der den technischen Fortschritt als Norm setzte. Folgende Prinzipien, die die Grundlage für Erfindungen wurden, setzten sich durch: Objektivität, Effizienz und Meßbarkeit. Die Technokratie zerstörte jedoch die Traditionen und kulturellen Symbole noch nicht ganz. Es gab noch die Erinnerungen und Sozialstrukturen der Werkzeugkultur. Noch wurde nicht geglaubt, daß Religion nur eine Zwangsneurose sei.

Mit der dritten Stufe betreten wir die Hölle, das Technopol. Die traditionelle Weltsicht verschwindet, so wie Aldous Huxley es in seinem Roman Schöne neue Welt beschrieben hat. Indem das Alte unsichtbar (gemacht) wird, wird es irrelevant. Die modernen Wissenschaften treten an die Stelle der Genesis. Das Technopol definiert alte Werte um, setzt an die Stelle von menschlichen Urteilen technische Kalkulationen, an die Stelle des Gebets die Medikation, an die Stelle der Sünde die Psychotherapie, an die Stelle der Politik das Show-Business.

Ein Weg zurück war spätestens seit Darwin, Nietzsche und Freud verunmöglicht, so daß das Technopol auf ein „Trümmerfeld“ der Ungewißheit „die Information“ als neue Gottheit setzen konnte. Die Information erhält einen metaphysischen Status. Helfer in diesem verhängnisvollen Prozeß sind die Bürokratie, das Expertentum und die technischen Apparate, der Computer und der Szientismus. Sie alle unterwandern die Ethik und die Moral, zerstören Symbole und Traditionen. Am Ende jedoch bleibt die alte Frage, wer sind wir und was stellen wir dar?

Im Schlußkapitel „Liebevolle Widerstandskämpfer“ schlägt Postman, der für sich in Anspruch nimmt, die Kunst der Kulturkritik ausgeübt zu haben, folgende Thesen ans Portal:

—Sei skeptisch gegen Meinungsumfragen,

—mißtraue dem Effizienzgedanken,

—vertraue nicht auf Zahlen,

—verweigere dich der Präzision,

—sei argwöhnisch gegen den Fortschritt,

—ehre alte Menschen,

—denke an deine Familie,

—besinne dich auf die Religion,

—bewahre die humanistische Tradition,

—kämpfe für eine Bildung, die sich als Korrektiv gegen das Technopol versteht.

Zur Übung erscheint vermutlich in Kürze das Spiel zum Buch: Technopolie — ein Strategiespiel für Überlebenswillige. Daniela Kloock

Neil Postman: Das Technopol. Die Macht der Technologie und die Entmündigung der Gesellschaft. S.Fischer-Verlag, 221Seiten, 28DM.

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