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Ein Genuß

■ betr.: "Sucht und Ordnung", taz vom 30.3.92

betr.: „Sucht und Ordnung“ von Mathias Bröckers, taz vom 30.3.92

Ein Staat, der den Tod von Hunderttausenden durch das Auto, Alkohol und Nikotin billigend in Kauf nimmt, hat nicht das Recht, seinen mündigen Bürgern, irgendwelche anderen „Stoffe“ zu verbieten. Während Mathias Bröckers die Freigabe für mündige Bürger fordert, muten seine Kritiker auch Unmündigen ihre Autoabgase zu. Günter Cartal, Braunschweig

betr.: dito und Leserbriefe dazu, taz vom 3.4.92

Es ist für mich immer wieder ein Genuß, zu sehen, wie Mathias Bröckers mit seinen wunderbar provokativen, aber dabei faktisch stichhaltigen Artikeln und Kommentaren für helle Aufregung in der taz-Leserschaft sorgt. Typisch hierfür sind die giftigen Reaktionen, die sein Kommentar erzeugt hat.

Da schreibt zum Beispiel Herr Benz aus Villingen-Schwenningen über einen „für Drogen werbenden Unterton“ in diesem Artikel, den ich selbst nach mehrmaligem Lesen nicht entdecken konnte. Noch stärker aber trumpft Frau Scotece aus Krefeld auf, die in geradezu exemplarischer Art und Weise vorführt, daß sie als Befürworterin einer die Drogen illegalisierenden Politik genau das hat, was sie selber Mathias Bröckers vorwirft: nämlich keine Argumente.

Zunächst verweist sie auf die Verwendung von in ihrer psychischen Wirkung dem Haschisch ähnlichen Medikamenten in der Psychiatrie und den dabei auftretenden Suchtfolgen bei Patienten, das heißt, sie wirft mal eben seelisch schwer kranke, insbesondere depressive Menschen und normale Gelegenheitskiffer in einen Topf, um damit zu beweisen, daß weiche Drogen die eine wie die andere Personengruppe in jedem Fall abhängig machen. So einfach ist das!

Danach holt sie den medizinisch- wissenschaftlichen Hammer raus und erklärt allen ungebildeten Lesern und Leserinnen in besten einschüchterndem Fachchinesisch: „...Man weiß genau, daß alle Psychopharmaka sowie Opium, Heroin und Marihuana ganz gewaltig zentralnervös wirken und passende Schlüsselchen für bestimmte Rezeptoren von Gehirnzellen haben.“ Übersetzt soll das wohl heißen: Wer das Zeug konsumiert, wird high. Eine wahrhaft umwerfende Erkenntnis!

Nachdem eine Frau Scotece diese sprachlich frisierte Platitüde aufs Brot geschmiert hat, kommt sie zu dem Ergebnis, daß man statt einer Drogenliberalisierung lieber eine „Reglementierung“ von Alkohol (meint sie damit ein Verbot?) fordern sollte, wobei sie selbstverständlich alle Befürworter einer liberalen Drogenpolitik als „unverantwortliche und leichtfertige Subjekte“ bezeichnet und davon spricht, daß hierbei neue „Probleme losgemacht“ würden. Diese Probleme aber würden nicht neu entstehen, sondern sie sind längst existent, und zwar wegen der von Menschen wie Frau Scotece unterstützten Verbotspolitik.

Außerdem wirft sie Mathias Bröckers vor, „trefflich an allen bekannten Fakten vorbei argumentiert“ zu haben, da eine Drogenfreigabe zu einer „Suchtverbreitung“ führe. Merkwürdig, daß dann in den Niederlanden die Quasifreigabe von Cannabisprodukten (offiziell sind sie ja auch dort noch verboten, werden aber staatlich toleriert) zu einer Halbierung der Anzahl der Erstkonsumenten solcher Produkte geführt hat! Zudem ist bis heute weltweit kein einziger Fall eines Haschisch- oder Marihuanatoten bekannt, während allein in Deutschland jedes Jahr etwa 20.000 Alkoholtote zu beklagen sind.

Und wieso stehen den hierzulande durch eingehende Untersuchungen ermittelten zwei Millionen Konsumenten weicher Drogen nur ca. 100.000 von harten Drogen Abhängige gegenüber, wenn erstgenannte doch angeglich die definitiven Einstiegsdrogen sein sollen?

Frau Scoteces Leserbrief ist symptomatisch für die eindimensionale Denkweise all der ebenfalls auf ihrer Linie liegenden Antidrogenkrieger. Mathias Bröckers jedenfalls hat deren armselige „Argumente“ wieder einmal ans Tageslicht gebracht. Jörg Steinau, Wuppertal

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