: Ex-SED-Funktionäre entlasten Stolpe
Die erste öffentliche Sitzung des Postdamer Untersuchungsausschusses brachte keine Klärung der gegen Stolpe erhobenen Stasivorwürfe/ Stolpe war „Mann der Kirche“ und kein Befehlsempfänger ■ Aus Potsdam Wolfgang Gast
Kurt Löffler, von Juli 1988 bis Juni 1989 Staatssekretär für Kirchenfragen in der DDR, stellte sich am späten Dienstag nachmittag schützend vor einen einstigen Gesprächspartner. „Ich halte die Vorwürfe gegen Stolpe für unvorstellbar. Stolpe hat alles ihm mögliche getan, um Menschen zu helfen und Freiräume zu schaffen“, erklärte der 60jährige frühere SED-Funktionär als erster sachverständiger Zeuge in der ersten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses im Potsdamer Landtag. Löfflers Urteil über den heutigen SPD-Ministerpräsidenten von Brandenburg, den er vor der Wende in seiner Funktion als Staatssekretär für Kirchenfragen bei rund 80 „offiziellen Treffen“, Botschaftsempfängen oder Kirchenveranstaltungen kennenlernte: Stolpe habe immer „in überzeugender Weise die Anliegen der Kirche vorgetragen“. Stasi-Kontakte seines Gesprächspartners seien ihm nicht bekannt — allerdings müsse er davon ausgehen, daß die Inhalte ihrer Unterredungen dem Ministerium für Staatssicherheit weitergemeldet wurden. Heute wisse er, daß ein „Offizier im besonderen Einsatz“ von der Stasi in seinem direkten Arbeitsbereich plaziert worden war.
Als loyaler Vertreter der evangelischen Kirche habe Stolpe ebenso nachdrücklich die Einrichtung eines Ersatzdienstes gefordert, wie er protestiert habe, wenn „religiös gebundene Menschen“ in der NVA benachteiligt wurden. Er habe vielfach Einspruch gegen die Behinderung kirchlicher Veranstaltungen erhoben, die Zensur der Kirchenzeitungen beanstandet und sich engagiert für eine Änderung der Reiseregelungen eingesetzt. Ihre Treffen seien von dem Versuch getragen gewesen, einen „möglichst realistischen Standpunkt zu finden“, so Löffler rückblickend. Das „gemeinsame Anliegen“ habe darin bestanden, „Provokationen auf der Straße“ zu vermeiden. Vor Löffler trat der Leiter der „Arbeitsgruppe Kirchenfragen“ beim Zentralkomitee der SED, der 72jährige Rudolf Bellmann, vor den Ausschuß. Er erklärte, von möglichen Stasi-Kontakten Stolpes nichts zu wissen. Unter Eid sagte Bellmann aus, daß Stolpe von seiner Arbeitsgruppe keine Aufträge erhalten habe. Bei den regelmäßigen, im Abstand von ein bis drei Monaten stattgefundenen Treffen habe er nur „Anliegen“ der Parteiführung vorgetragen. Über die Personalpolitik der Kirchen sei zwar gesprochen worden — einen Versuch, darauf Einfluß zu nehmen, hätte es aber nicht gegeben. Das Verhältnis zwischen SED-Funktionär und Kirchenvertreter sei „seriös und ordentlich“ gewesen: „Wir haben uns keine Blumen geschenkt, uns aber auch nicht beschimpft.“
Zur Aufklärung der Stasi-Vorwürfe, die gegen Stolpe erhoben werden, konnte die rund vierstündige Vernehmung der beiden Funktionäre wenig beitragen. Der Ministerpräsident hatte zu Jahresbeginn eingeräumt, über Jahre hinweg Kontakte zur Staatssicherheit unterhalten zu haben und insgesamt etwa 1.000 Gespräche mit Vertretern des Staates, der SED und der Stasi geführt zu haben. Er räumte auch ein, von der Stasi — allerdings ohne sein Wissen — als Inoffizieller Mitarbeiter mit dem Decknamen „Sekretär“ geführt worden zu sein. Eine Aufhellung des Sachverhaltes erwartet sich der Ausschuß nun durch die Übersendung eines neuen Gutachtens der Gauck-Behörde, das in dieser Woche dem Ausschußvorsitzenden Lothar Biski (PDS) übergeben werden soll.
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