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INTERVIEWEin Asylwahlkampf sprengt die Senatskoalition

■ Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) fordert Quoten für Zuwanderer/ »Grundgesetzänderung bringt nichts«

taz: Viele SPD-Kommunalpolitiker in Westdeutschland fordern eine Einschränkung des Asylrechts. Sie, Frau Stahmer, sind in Berlin für die Unterbringung von Asylbewerbern zuständig. Warum hört man von Ihnen keine Klagen?

Ingrid Stahmer: Die Unterbringung sorgt auch in Berlin für Belastungen. Eine schlichte Grundgesetzänderung bringt aber keine Entlastung.

In Berlin gibt es zur Zeit, anders als in westdeutschen Gemeinden, keine Notquartiere, keine Turnhallen, die requiriert werden. Warum?

1989 mußten wir im Laufe des Jahres vorübergehend etwa 100.000 Menschen unterbringen. Damals haben wir Unterbringungskapazitäten geschaffen, die uns heute noch helfen. Heute gibt es bekanntlich keine DDR-Flüchtlinge mehr, deshalb können wir diese Unterkünfte dafür verwenden, die 9.900 Asylbewerber besser unterzubringen, die heute in Berlin leben.

Sie hätten also noch Platz?

800 der DDR-Übersiedler von 1989 und etwa 5.000 deutschstämmige Aussiedler leben immer noch in den Übergangsunterkünften. In diesem Jahr erwarten wir außerdem wieder eine größere Zahl von Aussiedlern. Und 1989 haben wir auch eins gelernt: Die Frage, ob man ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen organisieren kann, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist die Frage, wieweit auch eine Integration stattfindet, ob es für Zuwanderer Wohnungen und Arbeit gibt und wieweit die Menschen akzeptieren, daß so viele Flüchtlinge kommen.

Warum ändert die Grundgesetzänderung nichts?

Sie könnte nur den Kreis derjenigen einschränken, die Asyl beantragen dürfen. Aber es ist ja jetzt schon so, daß die Mehrzahl der Asylbewerber keine Chance auf eine Anerkennung haben. Das Asylverfahrensgesetz sagt, daß die politische Verfolgung im Einzelfall nachgewiesen werden muß. Eine generelle politische Verfolgung ist vom Asylgesetz gar nicht gedeckt. Ich will mal ein krasses Beispiel nennen: Nach unserem Asylgesetz hätten viele der Juden, die in den dreißiger Jahren aus Deutschland ins Ausland flüchteten, dort nicht die Anerkennung als Asylbewerber bekommen.

Was fordern Sie?

Deutschland muß sich politisch entscheiden, wie vielen Menschen es eine Integrationschance bieten muß und kann.

Einwanderungsquoten?

Ja. Über ein Einwanderungsgesetz muß jetzt ganz konkret gesprochen werden. Wir können nicht alle Menschen, die zu uns kommen, ins Asylverfahren drücken. Außerdem müssen die Anerkennungsverfahren verkürzt werden, wie es ja auch CDU und SPD in Bonn beschlossen haben. In Berlin brauchen wir zur Zeit sechs Wochen, um einen Asylbewerber überhaupt zu registrieren.

Das neue Asylverfahrensgesetz schränkt auch den Rechtsweg für abgelehnte Asylbewerber ein. Ihr Staatssekretär Armin Tschoepe sagte uns noch im August, man könne nicht die Verfahren verkürzen und gleichzeitig die Rechtsstaatlichkeit wahren.

Für die Beschleunigung der Verfahren würde eine bessere personelle Ausstattung der Verwaltung und der Gerichte mehr bringen als eine Einschränkung des Rechtsweges.

Das neue Asylverfahrensgesetz verlangt auch »Sammellager«. Wird es die in Berlin geben?

Gegen den Begriff »Sammellager« habe ich mich von Anfang an gewandt. Das ist ein schlimmer Ausdruck aus der Nazi-Zeit, der hier wirklich fehl am Platze ist. In Berlin haben wir schon seit Jahren Gemeinschaftsunterkünfte.

Mit jeweils 500 Plätzen, wie von Bonn gefordert?

Nein. Wir haben nur eine große Einrichtung mit 700 Plätzen in der Streitstraße und ansonsten kleinere Unterkünfte. Gemeinschaftsverträglich sind für uns grundsätzlich Einrichtungen bis zu 200 Plätzen.

Haben die letzten Landtagswahlen nicht gezeigt, daß es in der Asyldebatte um mehr geht als um die verwaltungstechnische Bewältigung des Problems?

Ja. Mit der Bevölkerung, auch mit den Stammtischen, muß viel mehr gesprochen werden. Die Politiker haben sich bisher darum herumgedrückt. Die einen, indem sie die Debatte nur verschärft haben. Ein bißchen auch die anderen, indem sie das ganze Problem geleugnet haben und es mit rein moralischen Kriterien belegt haben.

Von Ihnen haben wir auch nicht viel gehört.

Ich habe praktische Arbeit gemacht und viele Gespräche mit Bürgern geführt. Die Ausländerbeauftragte hat mehr Geld und Stellen bekommen und macht gute Projekte gegen Ausländerfeindlichkeit. Das hilft viel mehr, als wenn ich der Presse gegenüber drei tapfere Erklärungen abgebe.

Einer Ihrer Parteifreunde, Wirtschaftssenator Norbert Meisner, drohte kürzlich in einer Senatssitzung, die Koalition werde platzen, wenn die CDU die Asyldebatte in den Kommunalwahlkampf trage. Sehen Sie das genauso?

Ja. Meisner war auf der SPD-Seite damit nicht allein. Und es gibt eine klare gemeinsame Linie mit der CDU, mit dem Thema Asyl nicht auf Stimmenfang zu gehen. Interview: Jeannette Goddar

Hans-Martin Tillack

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