: Gene, Genetiker und die amerikanische Justiz
In den USA ist ein Streit um die gerichtliche Beweiskraft des genetischen Fingerabdrucks entbrannt/ Zwei US-amerikanische Genetiker bemängeln den Aussagewert der Methode/ Das FBI versucht, kritische Veröffentlichungen zu unterbinden ■ Von Hubert J. Gieß
Geduldig ließen sich die 225 FBI-Mitarbeiter ihr Blut abzapfen. Das gerichtsmedizinische Labor der US- amerikanischen Bundespolizei wollte so den Beweiswert des genetischen Fingerabdrucks untermauern.
Es wurde ein Fiasko: Bei einer Nachkontrolle wich jede sechste Probe vom Ergebnis der Erstuntersuchung ab.
In den Vereinigten Staaten ist seitdem ein heftiger Streit um den Beweiswert des genetischen Fingerabdrucks bei Gerichtsverfahren entbrannt. Ausgelöst haben ihn die Genetiker Richard Lewontin von der Harvard-Universität und Daniel Hartl von der Universität St. Louis. In einem kürzlich im US-Wissenschaftsmagazin 'Science‘ erschienenen Artikel behaupten sie, die genetischen Fingerabdrücke zweier Menschen glichen sich um „zwei oder mehr Größenordnungen“ häufiger als angenommen. Dies könnte im Extremfall bedeuten, daß ein Unschuldiger zu Unrecht verurteilt wird.
Schwarze Streifen als DNS-Profil
Beim genetischen Fingerabdruck wird menschliches Erbmaterial, die DNS, aus Blut, Sperma oder Hautfetzen isoliert, die oft am Ort eines Verbrechens zurückbleiben. Auch Speichelreste, etwa an einer Zigarette oder einer Briefmarke, selbst ein ausgerissenes Haar, reichen unter Umständen aus.
Die DNS wird nach einer ausgeklügelten Methode in kleine Stücke zerschnitten, nach Länge sortiert und mit sogenannten Gensonden, die in der Regel patentiert sind, radioaktiv markiert. Legt man nun einen Röntgenfilm auf, werden die einzelnen Bruchstücke als schwarze Streifen sichtbar. Anzahl und Lage der Streifen sind individuell verschieden und ähneln dem Strichcode auf Lebensmittelverpackungen.
Aber das Streifenmuster ist keineswegs so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Viele Wissenschaftler ziehen deshalb die Bezeichnung „DNS-Profil“ vor. Wenn man weiß, wie häufig bestimmte DNS- Abschnitte in der Bevölkerung vorkommen, kann man die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der zwei gleiche Strichcodes von verschiedenen Personen stammen. Kommerzielle Labors werben damit, dies sei nur einmal unter 30 Milliarden Menschen der Fall, selbst ein Verhältnis von 1 zu 738 Billionen wurde schon genannt.
Hier setzt die Kritik der beiden Genetiker Lewontin und Hartl an. Solche Berechnungen setzen nämlich voraus, daß die Genmuster in der Bevölkerung zufällig verteilt sind. Das ist jedoch nicht der Fall. Zum einen werden Gene, die auf demselben Chromosom liegen, von seltenen Ausnahmen abgesehen, auch gemeinsam vererbt. Zum anderen wählen sich Menschen ihren Partner nicht willkürlich aus, sondern suchen meist in der näheren Umgebung, wobei auch die Religion und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe eine Rolle spielen.
Grundsätzlich sehen das auch jene Firmen so, die entweder selbst DNS- Typisierungen durchführen oder ihre Gensonden an rechtsmedizinische Institute und Polizeilabors verkaufen. Marktführer im Gewerbe sind die US-amerikanische Firma Lifecodes und die britische Cellmark Diagnostics, eine Tochter des Chemiemultis Imperial Chemical Industries (ICI). Doch die Labors unterscheiden nur nach den ethnischen Großgruppen wie Weiße, Schwarze und Hispanics.
Eine solche Unterteilung reicht aber nicht, kritisieren die beiden US- Genetiker Lewontin und Hartl. In den USA sind die sogenannten Hispanics ein buntes Gemisch aus Schwarzen, Weißen und Indianern. Guatemalteken beispielsweise sind fast rein indianisch, Puertoricaner dagegen haben einen beträchtlichen Anteil afrikanischer Vorfahren.
Nicht einmal die Weißen sind in den USA genetisch einheitlich. So leben dort etwa Iren, Italiener oder Polen, die zwar alle weiß sind, sich aber mehr unterscheiden als die Labordaten vermuten lassen.
Lewontin und Hartl sind nicht grundsätzlich gegen den genetischen Fingerabdruck: „Einwandfrei durchgeführt und richtig interpretiert, ist die DNS-Typisierung möglicherweise die wichtigste Neuerung in der forensischen Medizin seit dem Aufkommen des Fingerabdrucks.“ Doch bis es genügend Vergleichsdaten gibt, sei das Verfahren unzuverlässig.
'Science‘-Herausgeber organisiert Gegenartikel
Diese Kritik brachten die beiden Wissenschaftler bereits im Sommer 1991 zu Papier und boten sie 'Science‘ zur Veröffentlichung an. Obwohl ein Gutachtergremium nichts gegen den Abdruck einzuwenden hatte, meldete 'Science‘-Herausgeber Daniel Koshland plötzlich Bedenken an, nachdem das Manuskript bei einem Humangenetik- Kongreß im vergangenen Herbst in Washington kursierte. Er bat die beiden Autoren, ihre Aussagen abzuschwächen. Die lehnten empört ab und drohten mit einem Skandal, falls Koshland versuchen sollte, den Artikel zu verhindern oder weiter zu verzögern. Koshland hat dann, behaupten Lewontin und Hartl, einen Gegenartikel bestellt. Koshland selbst sieht das anders: Der Gegenartikel sei lediglich eine Meinungsäußerung und habe im übrigen, wie auch Lewontins und Hartls Text, das Gutachtergremium anstandslos passiert. Lewontin beruhigt das nicht: „Ich finde es schon recht ungewöhnlich, wenn ein Herausgeber daherkommt und zwei Burschen anheuert, die eine Entgegnung schreiben, nachdem unser Artikel schon begutachtet und akzeptiert war.“
So findet sich im gleichen 'Science‘-Heft eine Erwiderung der Genetiker Ranajit Chakraborty von der Universität Texas und Kenneth Kid von der Yale-Universität. Nach ihrer Ansicht reichen die verfügbaren Daten schon jetzt aus, den genetischen Fingerabdruck gerichtsverwertbar zu machen. Hartl und Lewontin hätten völlig veraltete Daten verwendet.
Anderen Befürwortern des genetischen Fingerabdrucks, besonders Thomas Caskey vom Baylor College of Medicine, Mitherausgeber von 'Science‘, paßte der Lewontin- Hartl-Text ebenfalls nicht. Auch das FBI versuchte, die Veröffentlichung zu verhindern. Das wird vom Leiter des rechtsmedizinischen Labors des FBI, John Hicks, bestritten.
Nationales Justizinstitut zahlt 300.000 Dollar
Nachdem beide Artikel vor einigen Wochen erschienen waren, folgte prompt das Echo: Die englische 'Science‘-Konkurrenz 'Nature‘ enthüllte, daß Thomas Caskey, der sich besonders gegen die Veröffentlichung wehrte, die Patentrechte an mehreren Gensonden besitzt und sie der Firma Cellmark Diagnostics überlassen hat. Zwar beeilte sich sein Arbeitgeber, das Baylor College, zu versichern, daß die Gelder dafür nicht an Caskey gehen. Da aber Stellen an US-amerikanischen Universitäten in der Regel befristet sind und die Gehälter frei ausgehandelt werden, dürfte auch Caskey an dem warmen Regen teilhaben.
Außerdem wurde sein Labor vom Nationalen Justizinstitut des US-Justizministeriums mit 200.000 Dollar unterstützt. Caskey, Mitglied eines Ausschusses der US-amerikanischen Academy of Science, der seit zwei Jahren an einem offiziellen Bericht über das DNS-Profil arbeitet, mußte daraufhin seinen Posten räumen. Es war nicht der erste derartige Fall — in den vergangenen anderthalb Jahren verloren wegen wirtschaftlicher Verflechtungen mit Privatfirmen schon sechs Genetiker ihren Sitz in ähnlichen Ausschüssen.
Beobachter erwarten, daß der Bericht, der längst überfällig ist und nun durch den Rücktritt Caskeys wohl weiter verzögert wird, die Zweifel Lewontins und Hartls an der Methode bestätigen wird.
Caskey ist aber nicht der einzige, der von der Affäre gebeutelt ist. Ausgerechnet der Koautor der Entgegegnung, Chakraborty, mußte auf Fragen der Verteidigung in einem Gerichtsverfahren, in dem er als Gutachter auftrat, einräumen, auch er habe zusammen mit einem anderen Forscher 300.000 Dollar vom Nationalen Justizinstitut kassiert. Zweck des Geldsegens: eine Artikelserie, die die statistischen Methoden des FBI wissenschaftlich absichern sollte.
Inzwischen ist noch ein weiterer Fall des Einflusses der US-Justiz auf eine Veröffentlichung über den genetischen Fingerabdruck bekannt geworden: Der Statistiker Seymour Geisser von der Universität Minnesota hat beim 'American Journal of Human Genetics‘ einen Artikel eingereicht, in dem er die Berechnungsmethoden des FBI kritisiert. Einige Wochen später forderte der Staatsanwalt, alle bisher noch nicht veröffentlichten Texte und den gesamten Briefwechsel zum gleichen Thema vorzulegen. Unter den Gutachten zum Geisser-Artikel war eines besonders kritisch. Es stammte vonChakraborty, der zuvor den Gegenartikel zum Lewontin-Hartl-Text geschrieben hatte.
Inzwischen hat das FBI dem wachsenden öffentlichen Druck von Wissenschaftlern und Kongreß nachgegeben: Seine Angestellten sammeln zur Zeit Vergleichsdaten in aller Welt. Hartl begrüßt die FBI- Maßnahmen, glaubt aber, daß die so gewonnenen Daten aufgrund unterschiedlicher Arbeitsmethoden in den einzelnen Ländern möglicherweise nicht vergleichbar sind.
In Deutschland hat das FBI übrigens eine einschlägig erfahrene Firma damit beauftragt. Ihr Name: Cellmark Diagnostics.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen