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Fußball-Hühner übertölpeln den Fuchs

Hannover96 durchkreuzt Werder Bremens vierte Reise zum DFB-Pokal-Endspiel nach Berlin mit 7:6 nach Elfmeterschießen/ 96-Torwart Jörg Sievers mit Fuß und Faust erfolgreich  ■ Aus Hannover Markus Daschner

Warum er denn ausgerechnet seinen Torwart Jörg Sievers in entscheidender Situation einen Elfmeter habe schießen lassen, wurde der Trainer von Hannover96, Michael Lorkowski, nach dem 7:6 im Halbfinale um den DFB-Vereinspokal gegen Werder Bremen gefragt. „Er stand als nächster bei mir und hatte den kürzesten Anlauf zum Ball“, war die ehrliche Antwort.

So wird Fußball-Geschichte gemacht, im Pokal allemal. Und Helden geboren: Jörg Sievers, der beim infarktverdächtigen Spielstand von 6:6 zum Sekt-oder-Selters im Elfmeter-Schießen antrat, zeigte seinem Gegenüber Jürgen Rollmann im Bremer Tor, was eine Klebe ist. Nahm ungerührt Anlauf, als ob er bei Bauer Nüstedt um die Ecke schnell mal eben Milch holen wollte, und zimmerte den Ball unhaltbar zum 7:6 ins Netz. Da war der Held schon halb gebacken. Sekunden später war er dann gar. Marco Bode, Bremens Stürmer- im-Pech, testete erstmals an diesem Abend die Ecke im Tor unten rechts: Sievers hält, lenkt den Schuß vorbei. Spiel vorbei, Pokal vorbei: Werder Bremen war endgültig ausgeschieden.

Lorkowskis Entscheidung bei der Benennung seines Torschützen war symptomatisch für den Fußball, den die 57.000 Zuschauer im ausverkauften Niedersachsen-Stadion am Mittwoch abend sahen. Der amtierende Pokalsieger aus Bremen setzte ganz auf Taktik, die Hannoveraner improvisierten wie die Hühner, die den Fuchs auf dem Rasen entdeckt hatten. Einziger Höhepunkt der ersten eineinhalb Stunden war Verdis Triumphmarsch aus Aida, live geblasen zum Einzug der Spieler ins Stadion vom Feuerwehr-Musikcorps aus Burgdorf-Hänigsen: Da war noch Musike drin.

Hannover hatte an diesem Abend die nervösen Hemden an. Keine einzige Torchance hatten die 96er in der ersten Halbzeit, die 0:0-geeichten Bremer gleich ein ganzes Dutzend mit dem gleichen Resultat. „Wir hätten das Spiel in der ersten Halbzeit gewinnen müssen“, urteilte Trainer Rehhagel später. Allein Bode und Rufer hatten beide je zwei satte Chancen, die folgenlos am Hannoveraner Tor vorbeirauschten oder von Sievers neutralisiert wurden.

Hannovers Führung zum 1:0 resultierte bei diesem Spielverlauf folgerichtig aus einem Abspielfehler im Bremer Mittelfeld: Hannovers Jugoslawe Milos Djelmas angelte sich den Ball in der eigenen Hälfte, sprintete nach vorn und schickte dann den mitgelaufenen Michael Koch steil durch ein riesiges Loch in der Bremer Abwehr. Koch, mit dem Ball vor dem Bauch und 50.000 im Rücken, ließ Rollmann keine Chance und versenkte zum 1:0 (95.Minute).

Die bengalischen Feuer auf den Rängen der Nordkurve waren noch nicht verraucht, als sich aus der grün- weißen Ecke lautstarker Jubel löste. Was für die Hannover-Fans im Nebel kaum zu sehen war, quittierte Schiedsrichter Habermann in der 98.Minute mit Anstoß vom Mittelkreis: Bratseth war nach einer Ecke für Bremen am höchsten gesprungen und köpfte zum Ausgleich ein. Werders bester Mann an diesem Abend hatte die Mannschaft noch einmal vor dem Ausscheiden bewahrt.

1:1 nach 120 Minuten, jetzt konnte das Spiel losgehen. (Es ist übrigens ein Gerücht, daß die 0:0-gewöhnten Bremer Fans erst zur Verlängerung im Stadion eintrafen!) Und das Fußball-Drama nahm seinen Lauf, denn ein Spiel, das Helden auf der einen Seite hervorbringt, hat natürlich auch seine tragischen Figuren auf der anderen. Rune Bratseth, der norwegische Libero von Werder Bremen, übernahm die Rolle an diesem Abend beim Elfmeterschießen. Nachdem Bremens Torwart Jürgen Rollmann den zweiten Elfmeter von Hannovers Karsten Surmann gehalten hatte, schoß Bratseth seinen 11er am Tor vorbei. Aus der 2:3-Führung für Bremen war wieder ein Ausgleich geworden, und nach je fünf Elfmetern wurde es dann eine Entscheidung Ball um Ball.

Die glücklichen Hannoveraner fahren also am 23.Mai nach Berlin zum Endspiel um den DFB-Pokal gegen Borussia Mönchengladbach, Werder Bremen dagegen wird, wenn es so weiter spielt, bald nirgends mehr hinfahren. Mit der Leistung vom Mittwoch sind nicht nur keine Blumentöpfe, sondern auch keine Europapokale zu gewinnen. Und wenn die Bremer auch noch am nächsten Mittwoch im Europapokal gegen Brügge scheitern, blüht ihnen ein Desaster. Dann müßten sie zum erstenmal seit 1982 auf die Teilnahme an einem europäischen Pokalwettbewerb verzichten, die Zuschauerresonanz und damit die Einnahmen werden drastisch zurückgehen: Beim Pokalspiel gegen Hannover waren auf fremdem Platz mehr grün-weiße Fans als beim letzten Heimspiel gegen Düsseldorf.

Werder Bremen: Rollmann - Bratseth - Borowka - Bockenfeld (91. Allofs), Wolter, Eilts, Schaaf, Hermann (60. Kohn), Legat - Rufer, Bode

Zuschauer: 57.000; Tore: 1:0 Koch (96.), 1:1 Bratseth (98.)

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