KOMMENTAR: Die Stunde der Trickser
■ Das Bundesverfassungsgericht stellt die Parteikassierer vor große Probleme
Es gibt Urteile aus Karlsruhe, die die Parteien vor ähnliche Schwierigkeiten stellen wie schwere Wahlniederlagen. Wie mache ich am besten gute Miene zu einem schweren Schlag ins Kontor, war die Preisfrage des gestrigen Tages. Die größte Chuzpe bewies zweifellos CDU-Kassierer Leisler Kiep, der schlankweg behauptete, eigentlich sei seine Partei ja schon immer der nun aus Karlsruhe verkündeten Meinung gewesen. Man darf wohl, ohne Herrn Kiep — der ja einschlägige Erfahrungen in Parteispendenprozessen hat — zu nahe zu treten, davon ausgehen, daß das genaue Gegenteil der Fall ist. Folgt man dem Richterspruch, werden vor allen Dingen die Unionsparteien und die FDP erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen müssen.
Das Gericht bekräftigte, daß Partei- und Staatskasse zwei unterschiedliche Dinge sind, was gerade die Regierungskoalition gelegentlich vergißt. Im einzelnen wird Union und FDP besonders schmerzen, daß ihre Spenderklientel aus den Unternehmen die Überweisungen nicht mehr von der Steuer absetzen darf und darüber hinaus auch noch ab 20.000 DM offenlegen muß. Beides ist dazu angetan, daß die Spendierhosen der Industrie zugenäht werden. Hinzu kommt: Die Parteien können sich nicht durch eine beliebige Erhöhung der Wahlkampfkostenerstattung schadlos halten. Was nun?
Ein Sieg der Demokratie und des Rechtsstaates, sagen die Grünen, die die Klage vertreten haben, und sie freuen sich zu Recht. Zumindest eine Zeitlang steigen die Chancen derjenigen Parteien, die nicht mit dem großen Geld liiert sind, zumindest vorübergehend wird der Richterspruch wirksam werden. Die darüber hinaus nun geäußerte Erwartung, die Parteien würden den Wink mit dem Zaunpfahl zu einem überfälligen „Selbstreinigungsprozeß“ nutzen, offen und ehrlich ihre Finanzen auf den Tisch des Bürgers legen, die Mitgliedsbeiträge erhöhen und im übrigen hoffen, damit die Gunst der Wähler zurückerobern zu können, scheint gelinde gesagt naiv. Es ist bekannt, daß aus der schlichten Formulierung im Grundgesetz: „Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit“ letztlich eine Parteienoligarchie geworden ist. Über die Finanzfrage wird dieser Zustand nicht aufgebrochen.
Jetzt schlägt eher die Stunde der Trickser und Finanzjongleure. Kreativität ist gefragt und wird zweifellos mobilisiert werden. Die nächsten Parteispendenprozesse kommen bestimmt. Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen