: Arafat Now!
■ Das physische Überleben des PLO-Chefs ist auch Zeichen politischen Überlebenswillens
Arafat Now! Das physische Überleben des PLO-Chefs ist auch Zeichen politischen Überlebenswillens
Hätte Yassir Arafat den Flugzeugabsturz nicht überlebt, gäbe es heute nicht ein Problem weniger im Nahen Osten, sondern einige Probleme mehr. In der PLO wären bereits Kämpfe um seine Nachfolge im Gange, in den besetzten Gebieten würden sich die Pragmatiker und die Fundamentalisten gegenseitig die Köpfe einschlagen, in Israel würde man Spekulationen darüber anstellen, welche PLO-Fraktion bei diesem „Absturz“ nachgeholfen hat, so wie umgekehrt in der arabischen Welt Israel für das Unglück verantwortlich gemacht würde. So aber haben alle, Yassir Arafat vorneweg, Glück gehabt.
Die Reaktionen der Palästinenser in den besetzten Gebieten zeigen außerdem, daß Arafat von der Mehrzahl der Palästinenser als ihr führender Kopf anerkannt wird, auch wenn er von moslemischen Fundis auf der einen und revolutionären Romantikern auf der anderen Seite bekämpft wird. Was immer es ist, das sein Charisma, seine „Führungsqualitäten“ ausmacht und das man von Europa aus nicht nachvollziehen kann: Arafat wäre der Mann, der einen „historischen Kompromiß“ im Nahen Osten herbeiführen könnte. Würde er morgen erklären, es wäre an der Zeit, sich mit dem jüdischen Staat zu arrangieren und eine zeitlich begrenzte Autonomie anzunehmen, ohne den endgültigen Status der „Gebiete“ im voraus zu definieren — die Palästinenser würden ihm folgen. Dabei könnte sich Arafat auf eine historische Parallele berufen: Auch die Zionisten sprachen anfangs nur von einer „Heimstätte“, die sie in einem günstigen Moment in einen Staat verwandelten.
Um einen solchen Schritt tun zu können, müßte Arafat freilich erst einmal aufgewertet werden. Und dafür wäre nichts besser geeignet als eine Erklärung der israelischen Regierung, daß man direkt mit der PLO verhandeln möchte, statt sich über Fragen des Protokolls und der Sitzordnung auf Washingtoner Korridoren zu streiten. Die „fortschrittlichen Kräfte“ in Israel haben sich lange genug mit der Parole „Peace Now!“ selbst berauscht. Jetzt muß es „Arafat Now!“ heißen. Eine El-Al- Maschine sollte sofort nach Tunis abfliegen, um Yassir Arafat abzuholen, in Jerusalem müßte er, wie einst Sadat, mit allen Ehren empfangen werden. Nach dem obligatorischen Besuch in Yad Vashem würde man den Gast ins Hadassah-Krankenhaus bringen, um seine Verletzungen zu behandeln. Dann würden wir palästinensische Kinder in Bethlehem sehen, die israelische Fähnchen schwenken und israelische Kinder in Tel Aviv, die sich um Arafat-Bilder reißen. Eine phantastische Vorstellung. Heute noch eine Vision, morgen ein Traum und übermorgen die Wirklichkeit. Henryk M. Broder
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