: Südsudans Rebellen hart bedrängt
Regierung in Khartum setzt auf militärische Lösung/ Großoffensive der Regierungstruppen gegen SPLA-Rebellen/ Deren Führer John Garang gibt sich gelassen und erklärt im Gespräch mit der taz: „Wir sind zu Friedensgesprächen bereit“ ■ Aus dem Südsudan B. Gaus
Zwei schlichte, bequeme Sessel, ein Holztisch mit rotem Tischtuch unter einer großen Schirmakazie: Wären nicht überall die uniformierten Kämpfer mit Kalaschnikows, von denen einer wachsam genau hinter meinem Gesprächspartner steht — die entspannte Idylle wäre perfekt.
John Garang, der Führer der südsudanesischen Rebellenbewegung, gibt sich gelassen, sogar herzlich. Seltsam, wie unterschiedlich eine Situation interpretiert werden kann: „Schade, daß Sie gestern keine Zeit hatten, bei uns zu sein“, meint mein Gastgeber. „Wir hatten ein so schönes Fest mit den Ältesten der Toposas.“ Dieses Nomadenvolk ist hier in der Gegend ansässig und gar nicht glücklich über die Präsenz der SPLA: Die wird vom Volk der Dinka dominiert — und das sind alte Rivalen der Toposas. Wie die Begegnung denn verlaufen sei? „Oh, sehr gut“, lacht John Garang. „Die Tuposas wollen mich als Sohn adoptieren.“
John Garang lacht viel. Mal kichert er in sich hinein, mal wird sein gedrungener, kräftiger Körper von Gelächter geschüttelt. Alles läuft gut— kein Grund zur Beunruhigung: „In jedem Krieg gibt es Gewinne und Verluste. Wir verlieren nicht, welchen Maßstab man auch anlegt.“ Das sehen die meisten Beobachter der Lage im Südsudan anders. Seit die Rebellenbewegung SPLA 1983 ihren Kampf gegen die Zentralregierung in Khartum aufgenommen hat, war sie noch nie so sehr in Bedrängnis wie jetzt. In einer Großoffensive hat die sudanesische Armee in den letzten Wochen mehrere SPLA-kontrollierte Städte überrannt. Am Samstag fiel Bor — Heimat John Garangs und der Widerstandskämpfer. Torit, Hauptquartier der SPLA, dürfte die nächste Station auf dem Vormarsch sein — wenn nicht der längst erwartete Regen die Straßen unpassierbar macht.
Die Bevölkerung Torits bereitet sich bereits auf die Flucht vor, heißt es. Die SPLA ist in den südlichsten Zipfeln der einst von ihr fast vollständig kontrollierten Region abgedrängt worden. „Tödlich verwundet“ sei die Bewegung, meint der Mitarbeiter einer ausländischen Hilfsorganisation im Südsudan. John Garang kann darüber nur den Kopf schütteln: „Wir werden betrachtet, als seien wir ein Staat. Das sind wir nicht. Wir sind eine Guerillabewegung. Ich kämpfe keinen konventionellen Krieg, ich kämpfe einen Guerillakrieg.“ Selbst wenn alle Städte genommen würden, könnte dies den Krieg nicht beenden. „10.000 Mann aus dem Norden sind gerade zu uns gestoßen.“
„Ich akzeptiere keinen schlechten Frieden“
Die meisten SPLA-Kämpfer kennen den Busch im Gegensatz zu ihren Feinden aus dem Norden von Kindheit auf. Im offenen Feld halten auch ausländische Beobachter sie für fast unbesiegbar. Auch Garang hat seine ersten Lebensjahre als Bauernsohn im Dorf verbracht: „Meine Eltern sind bis zu ihrem Tod nie in einer Stadt gewesen.“ Als einziges von neun Geschwistern besuchte er die Schule, unterstützt von einem Cousin. Es war ein weiter Weg bis zum Universitätsabschluß in Agrarwirtschaft und der Promotion in den USA. „Meine Kindheit hilft mir, mich mit der Bevölkerung zu identifizieren“, sagt er. „Ich fühle mich auf dem Dorf zu Hause. Wenn ich nackte Kinder sehe, denke ich daran, wie wichtig Schulunterricht ist. Wenn ich die Krankheiten der Leute sehe, ist das nichts Neues für mich — sie leben, wie ich gelebt habe.“
Nicht ganz. Der Bürgerkrieg hat Hunderttausende aus ihrer Heimat vertrieben, hat Hungerkatastrophen erzeugt, Äcker verwüstet, Familien auseinandergerissen. „Ich will nicht, daß der Krieg auch nur einen Tag dauert“, beteuert Garang. „Aber ich akzeptiere keinen schlechten Frieden.“ Derzeit wird ihm nicht einmal ein solcher angeboten. Von ursprünglich geplanten Friedensgesprächen zwischen der Regierung in Khartum und der SPLA ist nun nicht mehr die Rede: „Wir sind jederzeit dazu bereit, aber Khartum ist daran nicht interessiert. Die Regierung dort glaubt, daß sich ein politisches Problem militärisch lösen läßt.“
Der Krieg im Südsudan wird von der Weltöffentlichkeit wenig beachtet. Seine Bedeutung aber könnte weit über die unwegsame, vernachlässigte Region hinausreichen. Islamische Fundamentalisten sehen hier eine Chance zum Revolutionsexport— ein vom Norden besiegter Südsudan würde den arabischen Einfluß in Afrika beträchtlich vergrößern. Iran ist der Regierung in Khartum mit Militärberatern zu Hilfe geeilt. Unbestätigten Berichten zufolge versorgt Teheran die Truppen darüber hinaus mit Waffen.
Glückliche Fügung für den Norden: Mit dem Sturz Mengistu Haile Mariams in Äthiopien hat die SPLA letztes Jahr einen ihrer wichtigsten Verbündeten verloren — dafür zahlen jetzt die siegreichen, jahrelang von Khartum unterstützten äthiopischen Rebellenbewegungen ihre Schuld ab. Die sudanesische Armee durfte bei ihrer Offensive äthiopisches Gebiet unbehindert passieren.
Und darüber hinaus ist die SPLA seit Herbst letzten Jahres auch noch durch einen Konflikt in den eigenen Reihen geschwächt: Zwei hochrangige SPLA-Kommandeure, Riek Machar und Lam Akol, sagten sich damals von John Garang los und begannen mit ihren Anhängern den Kampf gegen dessen lokale Einheiten. Demokratisierung der Bewegung und die Beachtung der Menschenrechte schreiben sie auf ihre Fahnen — und zu Beginn hofften viele Südsudanesen und auch Ausländer auf eine Erneuerung der Bewegung, die durch Willkürakte und die Unterdrückung jeglicher abweichender Meinung in Mißkredit geraten ist.
Aber die Hoffnung trog: Heute ist dieser SPLA-Flügel in der Gegend um Nasir eine Bewegung von Khartums Gnaden. Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen sind überzeugt, daß die Zentralregierung die Abtrünnigen jederzeit vernichtend schlagen könnte, läge es in ihrem Interesse. Das sieht auch John Garang so: „In militärischer Hinsicht sind die Leute in Nasir zu bloßen Beobachtern des Geschehens geworden. Von Anfang an ging es ihnen darum, Frieden mit Khartum zu schließen.“ Nach längerem Nachdenken fügt er hinzu: „Als Mengistu fiel und Hunderttausende sudanesische Flüchtlinge aus Äthiopien zurück in den Südsudan kamen, sahen Riek und Lam Akol nicht mehr, wie der Krieg weitergehen sollte. Lam Akol mag die Illusion gehegt haben, daß Khartum einem unabhängigem Südsudan zustimmen würde.“
Hier liegt der große politische Unterschied zwischen den beiden SPLA-Fraktionen. John Garang betont, nicht für die Unabhängigkeit, sondern für einen vereinten neuen Sudan zu streiten, der demokratisch, multirassisch und multireligiös sein soll und in dem die Trennung von Kirche und Staat beachtet wird.
Damit ist die Wurzel des Konflikts zwischen Nord und Süd berührt: Der afrikanische Südsudan, in dem neben dem Christentum Naturreligionen vorherrschen, war in seiner Entwicklung gegenüber dem arabisch- moslemischen Norden stets benachteiligt. Die ägyptischen und britischen Fremdherrscher haben in einem Staat Völker zusammengezwungen, die nichts miteinander gemeinsam haben — der Sudan ist zum Symbol für absurde Grenzziehungen der Kolonialzeit geworden.
Schon vor der Unabhängigkeit 1956 wurde die staatliche Souveränität des Südens erwogen — und verworfen. Die Folgen waren blutig: Bis 1972 kämpfte bereits damals eine Guerillabewegung für die Teilung des Landes. Am Ende dieses Buschkrieges stand ein Kompromiß: staatliche Einheit bei gleichzeitiger innerer Autonomie des Südens. Der Islam wurde zur Staatsreligion erklärt, das Christentum jedoch als Glaubensgemeinschaft anerkannt. Der brüchige Friede hielt nicht. 1983 hob der Norden die Autonomie auf und wollte das islamische Recht, die Scharia, auch im Süden einführen — die Geburtsstunde der SPLA.
Warum kämpft John Garang nur für eine neue Gesellschaft, nicht aber für die Unabhängigkeit? „Jede erfolgreiche Unabhängigkeitsbewegung braucht die Hilfe eines anderen, bedeutenden Ereignisses. Eritrea kann unabhängig werden, weil die Regierung in Addis stürzte. Somaliland forderte die Unabhängigkeit nach dem Fall der Barre-Regierung in Mogadischu. Unabhängigkeitsbewegungen des Ostblocks konnten nur nach dem Fall des Kommunismus aufblühen. Wenn ein Ereignis vergleichbarer Bedeutung sich im Sudan ereignen würde, wäre ich hier mit meinem Festhalten an der staatlichen Einheit in der Minderheit.“ Ein erstaunliches Eingeständnis— bahnt sich hier ein Wandel in der Haltung John Garangs an, womöglich sogar eine Annäherung an die Forderungen der Nasir-Gruppe? Immerhin hat es in Kenias Hauptstadt Nairobi Gespräche mit dem Ziel gegeben, die zerstrittenen Fraktionen miteinander zu versöhnen, auch wenn diese Verhandlungen bisher gescheitert sind. „Die Nasir- Fraktion hat das Thema Demokratie und Menschenrechte für den Westen in ihr Programm geschrieben, weil es dort gerne gehört wird. Staatliche Unabhängigkeit richtete sich an die Adresse der Bevölkerung des Südsudan, weil die Mehrheit hier das wünschen würde.“ Würde John Garang sich diesem Wunsch beugen? „Ich bin ein Demokrat.“ — „Sind Sie das?“ — „Aber natürlich.“ Spricht's und lacht schallend.
Wie hat er doch so treffend gesagt? Der Westen hört das gerne. Und wie er da so zufrieden unter der Akazie sitzt, mag man glauben, daß ihm noch ein paar politische Schachzüge einfallen, mit denen er dem militärischen Erfolg seiner Gegner entgegenwirken will.
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