: Viehzucht, die zum Himmel stinkt
■ Biologen der Uni Vechta: Infektiöse Viren aus der Gülle werden über 60 Kilometer weit verdampft
Gülle ist keineswegs nur Mist und ein Problem der Viehbauern. Gülle setzt in erheblichem Umfang und in verschiedenen Verbindungen Stickstoff frei. Und dies keineswegs nur in Ställen und deren unmittelbarer Umgebung. „Ammoniak-begast sind wir
alle“, erklärt Remmer Akkermann, Biologe an der Uni in Vechta. Und Akkermann weiß, wovon er spricht: Er ist Mitherausgeber des Buches „Allergie und Umwelt“, das im Rahmen der Vechtaer Hochschulschriften gerade erschienen ist.
136 verschiedene Stoffe gasen aus der Gülle aus, weist Jürgen Hartung in seinem Beitrag zu dem Buch nach — darunter außer Ammoniak auch Benzolverbindungen, Phenole, Naphtaline, Acetate und vieles mehr. Doch die Stoffe werden nicht etwa nur hun
dert Meter weit in die Umgebung von Ställen und Feldern getragen. Der infektiöse MKS-Virus zum Beispiel hatte sich nach Erkenntnissen der Forscher über 60 Kilometer weit verbreitet. Eine „erhebliche Betroffenheit der Atemwege“ prognostiziert das Team aus Biologen und Medizinern bis hinauf zur Küste. „Da mittlerweile ein Fünftel der Bevölkerung Allergiker sind, ist eine dramatische Entwicklung absehbar“, betont Remmer Akkermann.
Bisher wurde das Gülleproblem jedoch vor allem auf das Grundwasser bezogen. In ihrem Grundwasserbericht stellte die niedersächsische Landesregierung vor wenigen Wochen fest: Die Grundwasserqualität ist miserabel und durch Nitrat (dem Wasser-Stickstoffgemisch aus der Gülle) alarmierend gefährdet. Bis 20 Meter Tiefe überschreiten bei einem Drittel der Messungen die Nitratkonzentrationen den zulässigen Wert der Trinkwasserverordnung. 50 Milligramm pro Liter sind erlaubt (in den USA nur 20), die Meßwerte lagen zum Teil beim sieben bis 20fachen des Zulässigen.
Da 83 Prozent des Trinkwassers aus dem Grundwasser ge
wonnen werden, muß dies aus immer tieferen Schichten geholt oder mit sauberem Wasser anderer Herkunft vermischt werden. Doch das Nitrat dringt unterdessen in immer tiefere Schichten vor. Und die Fleisch- und Eierproduzenten knallen die Gülle tonnenweise weiter auf die Felder.
Über 30 Liter Flüssigkeit läßt eine Kuh pro Tag durch den Rost fallen, auf dem sie lebt. Und ein durchschnittlicher Massenbetrieb im besonders belasteten Landkreis Weser-Ems hat so seine 5 bis 10.000 Schweine, 2.000 Kühe oder zigtausend Hühner. Rein rechnerisch läßt sich also herausfinden, wieviel Fläche ein Betrieb braucht, um das Güllejahresaufkommen seiner Viecher in die Landschaft zu verteilen.
Ein Drittel der Betriebe hat nicht genug Platz für Gülle
Genau dies will die Landesregierung über ein Kataster jetzt feststellen lassen. Im Landkreis Vechta ist die Bestandsaufnahme kurz vor dem Abschluß. Erstes Zwischenergebnis: Ein Drittel der Betriebe kann die erforderliche Fläche nicht nachweisen. Baugenehmigungen bekämen diese Betriebe nach neuestem Baurecht nicht mehr — höchsten Bußgelder. Sie haben aber die Möglichkeit, Flächen zuzukaufen oder zu pachten oder sich vom Landwirtschaftsministerium einen Betrieb vermitteln zu lassen, der noch Kapazitäten hat. Dies ist eines der zig hundertausend Mark teuren Konzepte, mit dem das Landwirtschaftsministerium dem Gülleproblem beizukommen versucht. Nebeneffekt: Am Dümmer sind die Pachtpreise schon auf 2.020 Mark pro Hektar gestiegen.
Doch selbst bei ausreichender Fläche bekommen die Bauern ihre Keller kaum leer: Zum einen ist in der Wachstumspause der Pflanzen (vom 15. Oktober bis 15. Februar) das Ausbringen von Gülle verboten. Dann deponieren die Landwirte das Scheiße-Harn- Gemisch in riesigen Bottichen unter dem Stall oder in Güllelagunen hinterm Haus. Doch auch zwischen Frühjahr und Herbst dürfen sie nicht alles über Land verteilen: Zum Schutz von Pflanzen und Boden sind in Niedersachsen lediglich 240 Kilo Stickstoff pro Hektar Land und Jahr erlaubt. Dies entspricht 3 „Dungeinheiten“. Mit einer Reform seiner Gülleverordnung will Niedersachsen dies auf 2 Dungeinheiten (=160 kg Stickstoff) reduzieren. Nur diese Menge darf dann dann noch als Dünger gelten, alles andere ist Abfall. Trotzdem verschleudern die Bauern noch zusätzlich Mineraldünger: Bilanzüberschuß im Landkreis Weser- Ems: 206 kg Stickstoff/ha. Tendenz steigend.
Andere Strategien Niedersachsens zur Lösung des Gülleproblems, das bis vor kurzem noch mit Beihilfen zum Lagunenbau gefördert wurde, sind Schutzprogramme für bestimmte Landschaftsstreifen, in denen die Landwirtschaft „extensiviert“ werden soll: Grünlandschutzprogramm, Acker- und Gewässerrandstreifenprogramm.
Doch damit lassen sich die Landwirte kaum zu Änderungen ihrer Produktionsweise motivieren. Weitere Anreize stattdessen: Zur Einführung riesiger Schlepper, die die Gülle sechs Zentimeter tief unter den Boden pflügen, erhalten sie DM 2,50 bis 7 (je nach Technik) „Ausgleichszahlungen“. Eine Million Mark hat Niedersachsens Landwirtschaftsministerium dafür zur Verfügung gestellt. Bodenökologen fluchen: „Ausgerechnet da, wo die Pflanzen wurzeln und Regenwürmer und Mikroorganismen leben, wird der Stickstoff massiv eingebracht. Da geht alles kaputt.“
Für die Biologische Schutzgemeinschaft Hunte-Weser-Ems gibt es aus dem ganzen Schlamassel nur einen Ausweg: Die drastische Reduzierung der Massentierhaltung. Je nach Betriebsgröße quotenweise. „Dazu muß sich aber auch das Verbraucherverhalten ändern. Jeden Tag ein Kotelett geht dann nicht“, so Remmer Akkermann. Die Schutzgemeinschaft arbeitet deshalb an Adressenlisten für die Konsumenten, in denen alle ökologisch und umweltschonenden Höfe aufgeführt sind. Birgitt Rambalski
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