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Japans Tor zur Welt

■ Das neue Deshima. Vor der Küste von Osaka entsteht mitten im Meer der teuerste Flughafen der Welt

Das neue Deshima.

Vor der Küste

von Osaka entsteht

mitten im Meer

der teuerste Flughafen der Welt

VONGEORGBLUME

Die Idee ist uralt. „Im Jahre 1636“, berichtet der Japan-Historiker John Whitney Hall, „wurde den Portugiesen nur noch eine kleine künstliche Insel vor der Küste von Nagasaki zugestanden.“ Weil die künstliche Insel Deshima vor Nagasaki zwei Jahrhunderte lang Japans einzige Brücke nach Übersee bildete, wurde sie bald weltberühmt.

„Willkommen zu Japans neuem Tor zur Welt“, brüllt ein Flughafeningenieur auf der neuen künstlichen Insel vor Osaka, als ein Dutzend ausländische Journalisten Ende März als erste fremde Besucher das Eiland betreten. 350 Jahre nach der Eröffnung von Deshima hat Japan wieder eine Insel geschaffen, an der die Welt nicht vorbeisegeln wird: „Kansai International Airport“ heißt das Milliardenprojekt im Meer.

Was heute noch wie ein weitentfernter Sandstrich am Horizont der Bucht von Osaka liegt, wird morgen Japans größter und modernster Flughafen sein. 32 Millionen Fluggäste sollen dort ab Sommer 1994 jährlich ein- und aussteigen. Pro Tag werden dann 187.000 Besucher auf der künstlichen Flugzeuginsel erwartet. Schon verbindet eine fünf Kilometer lange Zweietagenbrücke für Eisen- und Autobahn die Küste mit dem frisch aufgeschütteten Neuland. „Ein Platz im Meer oder auf den Gipfeln der Berge“, erklärt Haruo Inoue, Chefmanager der Flughafengesellschaft von Osaka, „das waren unsere einzigen Standortmöglichkeiten.“

Da aber wohl nur der Gipfel des Fujiyama für ein solches Vorhaben groß genug gewesen wäre, wählte die japanische Regierung die Bucht von Osaka. Die hohen japanischen Landpreise hätten das Projekt in der Ebene nicht billiger gemacht. Vor allem aber war bei dem Inselplan nicht mit Bürgerprotesten wegen Lärmbelästigung und Enteignungen zu rechnen. Beim fünfzehn Jahre alten Tokioter „Narita“-Flughafen streiten noch heute die Behörden mit den benachbarten Bauern. In Osaka aber wird niemand mehr auf dem Festland den Flughafenlärm vernehmen. Für den Anbau weiterer Startbahnen, um welche die Behörden auf dem Land oft lange kämpfen müssen, ist im Meer beliebig Platz.

Mit einem Fingerschnipsen wuchs der neue Flughafen freilich nicht aus der See. In der Bucht von Osaka wurde innerhalb von vier Jahren und elf Monaten, von Januar 1987 bis Dezember 1991, ein Erdvolumen „siebzigmal so groß wie eine ägyptische Pyramide“ aufgeschüttet. Als Ergebnis liegt nun eine 3.500-Meter lange Start- und Landebahn im Meer. Davor ragen bereits die Stahlgerüste des Flugkontrollturms in den Himmel, während die Bauarbeiter gerade das Fundament des Terminals gießen. Trotz der obligatorischen Verzögerungen, welche die Eröffnung des Flughafens um ein Jahr verschoben haben, gehen die Arbeiten nach dem Urteil von Nippons führender Wirtschaftszeitung 'Nihon Keizai‘ „außerordentlich schnell“ voran. Dabei fehlt es an Kritik am ungewöhnlichen Projekt auf hoher See nicht.

Tatsächlich sind die Baukosten des Meeresflughafen auch nach Einschätzung von Chefmanager Inoue „enorm hoch“. Der derzeitige Kostenvoranschlag beläuft sich auf stolze 18 Milliarden D-Mark, etwa soviel wie für den Bau des Jahrhundertstaudamms am Gelben Fluß in China benötigt werden. Kein anderer Flughafen der Welt war teurer. Vom ersten Planbeschluß (1974) bis zur Verwirklichung des Osaka-Projekts brauchte man in Japan allerdings nur zwanzig Jahre.

Das neue Inselleben in der Bucht von Osaka wäre nur halb so aufregend, wenn nicht noch ein letzter Funken Unsicherheit über den Plänen der Meeresingenieure läge. Denn das Neuland sinkt, und zwar schneller als gedacht. Derzeit rutscht die Insel pro Monat ganze sieben Zentimeter tiefer zum Meeresspiegel hinab. Bei diesem Tempo würde es im Jahr 2000 keinen Flughafen mehr geben. „Das ist ganz undenkbar“, empört sich Flughafenchef Inoue bei solchen Überlegungen. „Die Geschwindigkeit des Sinkprozesses hat bereits deutlich abgenommen. In den nächsten fünfzig Jahren wird die Insel nur noch zweieinhalb Meter nachgeben.“

Man würde ihm aufs Wort glauben, wenn sich die Inselplaner nicht schon einmal verrechnet hätten: Vor knapp zwei Jahren mußte nämlich die Flughafengesellschaft ihre Schätzung, daß die Insel nach der Aufschüttung insgesamt acht Meter Höhe verlieren würde, um mehr als fünfzig Prozent korrigieren. Nun soll die Insel maximal dreizehn Meter sinken.

Die unsicheren Höhenangaben machen auch das Bauhandwerk vor Ort nicht leichter. Nun werden die Säulen von Kontrollturm und Terminal auf spezialgefertigten Hebevorrichtungen errichtet, damit jede Gebäudeecke im Notfall der sinkenden Erdhöhe angepaßt werden kann. „Auch wenn einige Stellen schneller als andere sinken“, erklärt Bauleiter Itsu Uehara, „bringt das keine Gefahr. Mit den Hebeböcken haben wir auf künstlichen Inseln bereits hinreichende Erfahrungen gemacht.“

Neue Erfahrungen machen die japanischen Baufirmen dagegen beim architektonischen Design der Insellandschaft. Der italienische Meisterarchitekt, Renzo Piano, der schon beim berühmten Centre Pompidou in Paris Hand angelegt hatte, hat das Flughafenterminal mit dem Flügelschwung eines Vogels gezeichnet. Sein Mitwirken betrachten die japanischen Flughafenbauer als kennzeichnend für die starke Teilhabe ausländischer Firmen am Projekt. Die US-Regierung stimmt dem freilich nicht zu und meint, daß immer noch zu wenige ausländische Unternehmen am Bau beteiligt sind. Den genauen Auftragsanteil der Ausländer haben die Behörden noch nicht ermittelt.

Unabhängig davon ist der Andrang ausländischer Fluggesellschaften jetzt schon spürbar. Nirgendwo wächst derzeit die Anzahl der Flüge schneller als über dem Pazifik. Der japanischen Regierung liegen Bewerbungen von Flugunternehmen aus 43 Ländern vor. Da die Fluginsel rund um die Uhr anflugbereit sein wird, während viele andere Flughäfen der Region nur tagsüber geöffnet sind, gilt Osaka schon heute als attraktive Basis der Fluggesellschaften innerhalb Asiens. Schon wird in Nagoya zwischen Tokio und Osaka ein zweiter Flughafen auf dem Meer geplant.

Der scheinbar unaufhaltsame Anstieg der Flugpassagiere soll der aus öffentlichen Krediten finanzierten Flughafengesellschaft von Osaka im 23. Jahr nach Flugbeginn die Rückzahlung aller Anleihen ermöglichen. Schon 1999 will die Gesellschaft für einen ausgeglichenen Haushalt und im Jahr 2003 für die erste Dividendenauszahlung sorgen. Bis zum Jahr 2005 ist der Bau einer zweiten Startbahn im Wasser geplant. Dann rechnet Japan mit annähernd sechzig Millionen Auslandspassagieren pro Jahr (1990: rund dreißig Millionen), von denen die Hälfte über Osaka fliegt.

Die zukünftigen Osaka-Reisenden aus aller Welt könnten sich dann des deutschen Arztes Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff entsinnen, der schon im Jahre 1804 auf einer künstlichen Insel vor Nagasaki landete und notierte: „Der Platz, den wir bewohnen, ist an drei Seiten von Wasser umgeben und bildet auf diese Art eine kleine, viereckige Halbinsel.“ Vielmehr läßt sich über den Flughafen in Osaka eigentlich auch nicht sagen.

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