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Die nackten Tatsachen

■ Berlins „Betonfunk“ Hundert,6 feiert fünfjährigen Geburtstag

In Berlin kennt ihn jeder, den grünen Frosch — das Symbol des „Senders mit Herz und Seele“, Hundert,6. Gestern feierte die „Bildzeitung der Lüfte“ Geburtstag: Vor fünf Jahren hatte sich der halbe Berliner Senat in der Sender-Villa im Grunewald versammelt, um mit diesem „Staatsempfang“ das erste „staatsunabhängige“ Privatradio zu bejubeln. Eberhard Diepgen, damals wie heute Regierender Bürgermeister, hielt die Eröffnungsrede. („Mir fallen mindestens 100,6 gute Gründe für diesen Sender ein“), seine Frau Monika hatte zuvor den Startknopf gedrückt. Auch der damalige Generalsekretär der Berliner CDU und heutige Fraktionschef, Klaus Rüdiger Landowsky, war begeistert: „Endlich mal keine Elendswelle.“ Sie alle wurden nicht enttäuscht. Landowsky, in seiner Nebenrolle noch Rundfunkrat des SFB, wurde im Laufe der Jahre so oft in der Hundert,6-Chefetage gesichtet, daß man ihn intern schon als Festen Freien Mitarbeiter bezeichnet, und Eberhard Diepgen wird auf allen Geburtstagsparties erwartet. Hundert,6 ist allen Spöttern zum trotz „die Nr.1 am Radiohimmel“. Im Laufe der letzten Jahre wurde der SFB locker überholt, selbst das einst so beliebte Rias-2- Programm mußte sich mit dem zweiten Platz zufriedengeben.

Der Erfolg geht maßgeblich auf eine schwergewichtige Person zurück, die wahrscheinlich auf keiner Party erwartet wird: Ulrich Schamoni. Der ehemalige Jungfilmer stieg Ende letzten Jahres nach internen Querelen aus dem Unternehmen aus und versucht seitdem wieder sein Glück im Film- und Fernsehgeschäft. Er war es, der die illustre Gesellschafterrunde um sich versammelte, die dem Sender zum Zweitnamen „Betonfunk“ verhalf. Honoratioren des Berliner Mittelstandes vom Nachtclubbesitzer bis zu Baulöwen wie Hauert, Marx und „Klingbeil-Groenke“ erweckten das Mißtrauen der Presse. Auch die Einrichtung eines Kuratoriums, das die Meinungsvielfalt überwachen sollte, konnte die Gemüter kaum beruhigen, fanden sich dort Persönlichkeiten wie Marianne Kewenig (Gattin des Innensenators), Carola von Braun (einst Frauenbeauftragte des Senats, heute Berliner FDP-Vorsitzende) und Dr. Peter Raue, Rechtsberater der CDU.

Zum Titel „Betonfunk“ hat aber auch Chefredakteur Georg Gafron einiges beigetragen. Seit seiner Flucht aus der DDR kämpft er als Rächer der Enterbten: „Wir sagen der schweigenden Mehrheit, daß sie die Mehrheit ist.“ Seine Rechthaberei ist in der Redaktion ebenso gefürchtet wie seine Rechtslastigkeit im politischen Kommentatorengeschäft. Gafron ist seit dem Ausscheiden Schamonis nicht nur Chefredakteur, er teilt sich zudem die Geschäftsführung mit der eisernen Lady des Senders, Rita Isa Worch.

Bundesweites Medienecho erlangte auch ein dritter Hundert,6- Mitarbeiter: Frank Schmeichel. Allnächtens erregte er mit seiner Sendung Bettgeflüster die Gemüter. Mit enervierend einschmeichelnder Stimme plauderte „Samen-Frank“ mit und ohne Hörer über sogenannte Tabuthemen. Berlins Medienjournalisten „quälten“ sich nächtelang am Radio, um „das schmierig-zynische Spiel mit dem Bedürftigkeits- und Triebstau“ geißeln zu können. Immerhin: Kuratoriumsmitglied Carola von Braun zog sich wegen dieser frauenfeindlichen Darbietungen aus dem Gremium zurück.

„Mit Nostalgie“ denkt Gafron heute an die Anfangszeit zurück, als er sich die Frequenz noch mit dem Alternativsender Radio100 teilen mußte. Pünktlich um 19Uhr verabschiedeten sich die Frösche mit der Nationalhymne, worauf Radio100 mit dem Abspielen der Klospülung antwortete. Der allabendliche Kleinkrieg währte knapp sieben Monate, dann wechselte Radio100 die Frequenz. Während die Alternativen im letzten Jahr in Konkurs gingen, baut Hundert,6 aus. Heute wird im Palast- Hotel ein neues Außenstudio eingeweiht, dann ist es „zur Regierung nur noch ein Katzensprung“, und noch in diesem Jahr ziehen die 210 Mitarbeiter aus der zu klein gewordenen Villa Richtung Innenstadt. Den Ausbau des neuen Sendegebäudes läßt sich Rita Isa Worch 14 Millionen Mark kosten. Geld spielt keine Rolle. 1991 kam Hundert,6 auf einen Jahresumsatz von über 40 Millionen Mark. Beim Berliner Kabelrat liegen Anträge auf Erteilung einer Sendelizenz für ein Volksmusikprogramm (Mega Herz) sowie für eine TV-Frequenz (zusammen mit Burda).

Demnächst möchte Gafron auch die Bürger in den FNL beglücken. „Einen ungeheuren Bedarf“ nach einem fröhlichen Sender hat sein neuer Medienreferent Butz Peters (ehedem NDR-Redakteur) ausgemacht. Sendelizenzen wurden bereits überall beantragt, wobei pro Land 15 bis 30 Millionen Mark investiert werden sollen. Die neue Länderkette wird den genialen Namen „Top-Radio“ tragen, „denn top ist immer oben“ und soll „weniger Buntes“ und dafür „mehr Service“ bieten. Damit nicht genug. Gafron plant in den neuen Bundesländern eine Stiftung, die sich die Förderung des journalistischen Nachwuchses zum Ziel gesetzt hat. Gewünschter Starttermin seiner Top-Kette: 3.Oktober 1992. Der Tag der Deutschen Einheit. mail

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