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Ray-Ban-Glasses und Sonnenanbeter

■ Hunderttausende Berliner und Touristen eröffneten am Wochenende die Freiluftsaison in der Stadt: In Cafés, Parks, zu Lande und auf dem Wasser

Berlin. Etwas verstaubt sind sie noch, die Sonnenbrillen, die am Wochenende erstmals nach langer Zeit zum Einsatz kamen. Trotzdem — Brillen machen Leute. Eine Combo frischgebackener Rekruten mit »Tropical-Beach«-T-Shirts trägt, am Brunnen am Alex Bier aus Plastikbechern schlürfend, ihre verspiegelten Exemplare ebenso stolz zur Schau wie gestylte Mittdreißiger, die solo über den Winter kommen mußten, ihre Ray-Ban-Glasses im Tiergarten; voller Frühlingsgefühle auf Partnerjagd. Touristen über 50 ersetzen die Sonnenbrille ihrer Halbglatze zuliebe durch eine Schirmmütze. Es wird Sommer in der Stadt.

Der Saisonauftakt der Berliner Kanalrundfahrten ist gestern mit vollen Ausflugsbooten gelungen. Marco Viviani, im Winter Pizzabäcker, hat seine Küche gegen das Gelati-Mobil eingetauscht. »Toll, bei so einem Wetter anzufangen. Hoffentlich wird der Sommer so gut wie der letzte.« Auch bei den Portraitmalern am Breitscheidplatz herrscht Hochkonjunktur. Hunderte von Cafébesitzern haben ihre Stühle abgestaubt und auf die Terrasse getragen.

Ob im Görlitzer Park, auf dem Alex, im Tiergarten oder auf dem Kreuzberg — Berliner wie Touristen strömten am Wochenende auf den noch käseweißen Winterbeinen in die Sonne. Kreuzberger Kids genossen ihren ersten Joint im Freien auf der Oranienstraße ebenso wie vereinzelte Nudisten im Tiergarten das erste Sonnenbad des Jahres. Kältegewöhnte schwedische Touristen liefen barfuß durch das Brandenburger Tor. Nur kleine Kinder mußten, Muttis Besorgnis zuliebe, immer noch mit Mütze und Schal auf der Wiese herumtollen. Mehrsprachig und »multikulturell« bestimmte ein einziger Satz am Wochenende das Leben in der Stadt. »Endlich wird es wieder Sommer.«

Selbst Lamas, Elefanten, Giraffen und Emus, die sich sonst nur deutlich näher des Äquators wohlfühlen, hielt nichts mehr in ihren Winterquartieren — nicht einmal der Ansturm der Besucher. In drei Schlangen staute es sich gestern vor den Kassen am Zoologischen Garten. Ähnlich voll war es vor Eisständen, Zapfhähnen und öffentlichen Toiletten.

Glücklich schätzen können sich auch die Krankenkassen. Die Berliner bewegen sich wieder. Frisbee auf dem Kreuzberg, Volleyball im Tiergarten, Roller-Skating in der City. Am Paul-Lincke-Ufer wetteiferten über 50 Berliner beim zweiten Boule-Turnier in dieser Saison. Sogar einen Koch hatten sie dabei, der sie mit Quiche, Suppe, Bier und Wasser versorgte.

So ganz hat sich die Stadt allerdings noch nicht auf den nahenden Sommer eingestellt. Zahlreiche Brunnen warten noch auf frisches Wasser, die Stern- und Kreisschiffahrt beginnt ihre offizielle Saison erst am ersten Mai. Bis dahin verkehren die Boote nur auf acht von achtzehn Linien. Ab Mai können Ausflügler erstmals vom Bahnhof Wannsee nach Brandenburg ablegen. Bisher scheinen die Berliner allerdings das Umland noch kaum entdeckt zu haben. Dafür spricht nicht nur das Gedränge in der Stadt, sondern auch die gestrigen Verkehrsnachrichten: Keine nennenswerten Störungen. Jeannette Goddar

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