: Zwischen Kunst und Kitsch
Fiordaliso, Litfiba, Luca Carboni und Vinicio Capossela: Rock aus Italien, nach Deutschland gebracht ■ Von Thommi Herrwerth
Erst Gianna Nannini, dann Ramazotti und seit Senza una donna auch noch Zucchero — dreimal ist es der Schallplattenindustrie gelungen, dem ansonsten konsequent anglo-amerikanisch orientierten Publikum in Deutschland Stars aus der italienischen Rock- und Popszene nahezubringen. Und da es in Italien schier unzählig viele weitere Publikumslieblinge gibt, ist es nicht verwunderlich, daß man nunmehr versucht, noch den einen oder anderen mehr von ihnen hierzulande bekannt zu machen. Im Laufe der letzten Wochen wurden auf diese Weise vier Alben, die es südlich der Alpen bereits zu Ehren brachten, veröffentlicht: Il portico di Dio von Fiordaliso, El Diablo von Litfiba, Carboni von Luca Carboni und Modi von Vinicio Capossela.
Die Sängerin Fiordaliso gehört in ihrer Heimat seit vielen Jahren zu den ganz Großen. Sie bedient ihre Fans mit schwerer, festlicher Popmusik, die sie stilvoll und bedeutungsschwanger zelebriert, eine Mischung aus Weltuntergangsstimmung und Zuckerwatte. Die bombastischen Arrangements stehen allerdings in keinem Verhältnis zu den Texten, die nichts enthalten, was nicht schon hundertmal gesagt worden wäre. Bemerkenswert an ihr ist lediglich ihre Stimme: facettenreich, emotionsgeladen und ungeheuer erotisch. Keine schlechte Musik. Dennoch gibt es mindestens zwei Dutzend italienischer Stars, denen ich eher wünsche, daß sie in Deutschland entdeckt würden.
Die Rockgruppe Litfiba feiert südlich der Alpen augenblicklich wahre Triumphe. Sie tourt durch die größten Stadien, und wo immer sie auftreten, sind die Karten im Nullkommanichts ausverkauft. Litfiba gelten als „schmutzig“, „respektlos“, „provokant“ und „radikal“. Mir war allerdings nie so richtig klar, worin dieses Image begründet ist. Vielleicht liegt es daran, daß sie mitunter Lederklamotten tragen. Oder daran, daß einige ihrer Musiker tätowiert sind. Sicherlich hat dazu auch beigetragen, daß sie einmal sogar bei einem Lied rülpsten. Wo immer ihr Image herrührt, in ihrer Musik liegt es nicht begründet. Die kommt so brav und mainstreamig daher, daß sie nun wirklich niemandem weh tut. Aber alles ist relativ: In einem Land, wo eine Sängerin wie Milva jahrelang die großen Hits der Stones zu wahren Orgien von Schwermut und Leidenschaft aufblies, ist es wohl nicht sonderlich schwierig, sich als musikalische Randalierer zu profilieren.
Wesentlich interessanter ist das Album von Luca Carboni, das seit Monaten sämtliche italienischen Bestsellerlisten anführt. Luca bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Rockmusik und Liedermacher. Einige seiner Stücke sind zackig arrangiert, der überwiegende Teil hingegen kommt sanft und gefühlvoll daher. Eines aber ist ihnen allen gemein: Sie sind absolut typisch italienisch. Gefühlvolle Melodien, üppige Instrumentierung und leidenschaftliche Interpretation, all das verrät die unverkennbare Handschrift der Nachfahren von Rossini und Verdi. Das Ganze ist eine meisterhafte Gratwanderung zwischen Kunst und Kitsch, an keiner Stelle unglaubwürdig oder peinlich. Lucas poetische Texte unterstreichen das: Sie erzählen von der Schwierigkeit, einfache Antworten auf schwierige Fragen zu erhalten, von der Suche nach Frieden und Liebe und von der Rohheit und Skrupellosigkeit der Mächtigen; ambitionierte Themen, die mit den musikalischen Arrangements eine spielerische Synthese eingehen. Das alles singt Luca mit einer klaren, kräftigen Stimme.
Das eigentlche Bonbon unter den vier hier vorgestellten Alben ist allerdings das von Vinicio Capossela. Er serviert eine Art italienischer Late-night-music, stilistisch irgendwo zwischen Tom Waites und Paolo Conte. Leise Lieder zu Gitarre, Piano, Akkordeon und Saxophon, lässig und voller Leidenschaft interpretiert. Auf dieser Platte kontrastieren jazzig-schräge Songs mit schwermütigen Balladen, wie Ultimo amore im mexikanischen Ambiente. Ich wage den Tip, daß wir es hier mit dem kommenden Star der kleinen, seiner Musik angemessenen Säle zu tun haben.
Fiordaliso: Il portico di Dio. EMI Electrola 090795976-2
Litfiba: El diablo. east west 9031-72780-2
Luca Carboni: Carboni. BMG Ariola PD 75274
Vinicio Capossela: Modi. east west 9031-75643-2
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen