DOKUMENTATION: „... weitere Terminvereinbarungen unter Ausschaltung seines Sekretariats vorzunehmen“
■ Das vom Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten, Joachim Gauck, dem brandenburgischen Landtag zugeleitete Gutachten über die Stasi-Kontakte Manfred Stolpes in Auszügen
In dem 61 Seiten umfassenden Bericht des Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten, Gauck, „zum IM 'Sekretär‘, Registrier-Nr. IV/1192/64“, wird die These des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe verworfen, er sei ohne sein Wissen vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) geführt und „abgeschöpft“ worden:
„Die häufig anzutreffende Argumentation ehemaliger leitender Mitarbeiter der HA XX/4, zur Erhöhung des Potentials inoffizieller Quellen wäre auch mit fiktiven IM— also IM, die nur zum Schein als solche registriert waren — gearbeitet worden, hat sich aus den Unterlagen nicht bestätigt. (...)
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die Recherchen der Behörde haben ergeben, daß die Auswahl von IM-Kandidaten unter kirchenleitenden Kräften gekennzeichnet war von einer intensiven Vorlaufarbeit zum Kennenlernen der IM-Kandidaten, die nicht selten mehrere Jahre dauerte. Erst wenn sich die zuständigen Mitarbeiter (des MfS) 'ihrer Sache‘ sicher waren, wurde die Werbung vollzogen und — unter welchen Voraussetzungen auch immer — die künftige inoffizielle Zusammenarbeit vereinbart. (...)
In den aufgefundenen Jahresarbeitsplänen 1979 bis 1980 der HA XX/4/I ist die besondere Bedeutung des IM 'Sekretär‘ für das MfS dadurch unterstrichen, daß über diesen die konspirative Beschaffung der Materialien der Konferenz der Kirchenleitung (KKL), eine sofortige Berichterstattung bei politisch relevanten Themen und die operative Einflußnahme bei Entscheidungen erfolgen sollten. Die wiederholte Nennung dieser Aufgaben deutet darauf hin, daß der IM 'Sekretär‘ aus der Sicht des MfS dafür offenbar gute Voraussetzungen besaß und sein Einsatz für das MfS als einschätzbar galt. Eine solche Aufgabenstellung entbehrte jeglicher Grundlage, wenn es sich um einen sogenannten 'fiktiven‘ IM gehandelt hätte, der nur von anderen IM umgeben war und abgeschöpft wurde. (...)“
Weiter heißt es: „Aus Berichterstattungen der Hauptabteilung (HA) XX/4 aus den Jahren 1975 und 1976 geht hervor, daß der IM 'Sekretär‘ innerhalb der HA XX/4 bereits zu dieser Zeit aus der Sicht des MfS zu einer wichtigen inoffiziellen Kraft in bezug auf die Bearbeitung der Evangelischen Kirchen in der DDR geworden war. (...) Am 8.12.76 wurde im Rahmen der 'Berichterstattung für den Monat November‘ des gleichen Jahres eingeschätzt: 'In Verhinderung einer Solidarisierung von Aktivitäten leitender Gremien der Evangelischen Kirchen zum Biermann-Problem wurden qualifizierte IM wie 'Sekretär‘ ... eingesetzt. Dabei wurde erreicht, daß solche leitenden Gremien, wie 'Konferenz der Kirchenleitung‘ (KKL), 'Vorstand der Kirchenleitungen‘, 'Rat der Evangelischen Kirche der Union‘, 'Bischofskonvent‘, sowohl keine Erklärungen abgaben als auch Einfluß darauf nahmen, daß keine geschlossenen kirchlichen Aktivitäten unternommen wurden.‘ (...)“
Beispiele zeigten außerdem, „daß sich das MfS mit Hilfe seiner inoffiziellen Kräfte im Bereich der evangelischen Kirchen bereits Mitte der 70er Jahre in der Lage sah, die Kirchenpolitik bzw. kirchliche Handlungen so zu beeinflussen, daß in bestimmtem Umfang gesellschaftliche Konflikte im Zusammenhang mit der evangelischen Kirche bereits im Entstehungsstadium unwirksam gemacht werden konnten. (...)
Die IM-Akten des IMB 'Sekretär‘ sind in den vom Bundesbeauftragten verwahrten Unterlagen nicht aufgefunden worden, ebensowenig die Karteikarte F 16 mit dem Klarnamen. Die vorhandenen Unterlagen zeigen jedoch folgendes: Der IM 'Sekretär‘ ist im Jahre 1964 im Alter von 28 Jahren als IM-Vorlauf in der BV Potsdam unter der Nummer IV/1192/64 registriert worden. Als IM-Vorlauf ist er mit der gleichen Reg.-Nr. am 20.5.1970 von der Abt. XX/4 der BV Potsdam an die HA XX/4 , Mitarbeiter Buhl, übergeben worden. Es kann angenommen werden, daß das MfS kurze Zeit danach den IM-Vorlauf abgeschlossen und die Werbung des IM vollzogen hat, da mit Eintragung am 15.6.1970 im Vorgangsheft Nr. 3631 des Mitarbeiters Buhl für den IM 'Sekretär‘ jeweils der 1. Band des Teiles I (Personalakte) und des Teiles II (Arbeitsakte) durch die Abt. XII des MfS ausgegeben wurde (Anlage I, S. 67/69). (...)“
Insgesamt zeigten die Beispiele „die Kontinuität des geplanten Einsatzes des IM 'Sekretär‘ über Jahre hinweg und seine Hauptaufgabe: die Schaffung von Dokumenten, Einflußnahme auf und Berichterstattung über Tagungen der Konferenz der Kirchenleitungen“. (...) In dem Bericht wird betont, daß die Forderung nach Quellenschutz für den IM „Sekretär“ nur Sinn machte, „wenn dem Informationsgeber eine Offenbarung seiner Identität zum Nachteil gereichen würde“. Der IM „Sekretär“ habe selbst vorgeschlagen, „weitere Terminvereinbarungen nach Möglichkeit unter Ausschaltung seines Sekretariats vorzunehmen. Er schlug vor, notwendige telefonische Verbindungsaufnahmen abends zwischen 20.00 und 21.00 Uhr über seinen Privatanschluß in Potsdam vorzunehmen.“
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