KOMMENTAR: Waffenstillstand in Deutschland
■ RAF beendet den bewaffneten Kampf zugunsten ihrer Gefangenen
Die Rote Armee Fraktion, vor über 20 Jahren gegründet mit dem erklärten Ziel des Aufbaus einer zweiten Front im Herzen der kapitalistischen Bestie, zieht die Konsequenz aus dem Zusammenbruch der ersten Front. Ohne Rote Armee in Moskau, Potsdam oder Leipzig blieb für die RAF, mutmaßlich kaserniert in einer Handvoll konspirativer Dreizimmerwohnungen zwischen Bonn und Düsseldorf, nur noch der Part eines zunehmend albernen historischen Anachronismus. Die Wortmeldung aus dem Untergrund ist so politisch überfällig wie historisch konsequent.
Die RAF hatte sich zu Zeiten des Vietnamkriegs vorgenommen, die Bundesrepublik Deutschland als einen der wichtigsten Statthalter des US-Imperialismus aus den Angeln zu heben. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Versuch hierzulande mit dem Mittel des individuellen Terrors gelingen könnte, war von Anfang an gleich Null. Die Untergrundkämpfer und einige ihrer Gefangenen haben dies ebensowenig wahrhaben wollen wie die Politiker und die politische Öffentlichkeit. Letztere reagierten in den siebziger und frühen achtziger Jahren auf den „Krieg der sechs gegen die 60 Millionen“ (Heinrich Böll) so, als stände eine veritable Rote Armee vor den Toren Bonns.
Nicht die RAF, sondern die Reaktion des Staates hat das Gesicht der Nachkriegsrepublik verändert, im Deutschen Herbst 1977 sogar geprägt. Die gestrige „Waffenstillstands-Erklärung“ eröffnet nach so vielen historischen Stunden die historische Chance, auch dieses Kapitel bundesdeutscher Geschichte zu schließen. Letztlich geht es darum, die Auseinandersetzung über Ausbeutung der „Dritten Welt“ und Imperialismus in dieser Form zu beenden — um sie mit den Mitteln der zivilen Gesellschaft neu zu organisieren.
Niemand sollte sich täuschen und vorzeitig das endgültige Ende des bewaffneten Kampfes herbeijubeln. Die RAF-Desperados haben gestern nicht nur die Fahne ihres eigenen, überlebten Avantgarde-Anspruchs eingerollt, sie haben auch erstmals explizit erklärt, was im aufgesetzten Wortgetöse vergangener Kommandoerklärungen immer etwas verschämt versteckt wurde: Die blutigen Anschläge der letzten Jahre waren weniger inspiriert von welthistorischen Umwälzungen, als von den zementierten Verhältnissen im Umgang mit den gefangenen Genossen der RAF. Solange die mit dem Namen des Bundesjustizminister verknüpfte Initiative zur Freilassung bestimmter Inhaftierter weiter wie bisher vor sich hin dümpelt, bedeutet die RAF-Erklärung nicht mehr als eine Atempause. Die politisch Verantwortlichen, die seit dem letzten Hungerstreik der RAF-Gefangenen auf genau diese Erklärung gewartet haben, müssen wissen, daß jetzt mehr gefragt ist als symbolische Signale wie die vorzeitige Entlassung einer einzigen Gefangenen. Gerd Rosenkranz
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