RAF bekennt sich zum eigenen Scheitern

■ Drei Monate nach der "Kinkel-Initiative", nach der langjährig einsitzende und haftunfähige RAF-Gefangene vorzeitig aus der Haft entlassen werden sollten, haben die RAF-Aktiven in einem Schreiben...

RAF bekennt sich zum eigenen Scheitern Drei Monate nach der „Kinkel-Initiative“, nach der langjährig einsitzende und haftunfähige RAF-Gefangene vorzeitig aus der Haft entlassen werden sollten, haben die RAF-Aktiven in einem Schreiben ihr politisches Scheitern eingeräumt — vorerst wollen sie von Anschlägen auf Repräsentanten von Wirtschaft und Staat absehen.

Die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) ist nach mehr als 20 Jahren bereit, ihren bewaffneten Kampf einzustellen. In einem Schreiben vom 10. April, das gestern im Bonner Büro der 'Agence France Press‘ (afp) einging, erklärt die RAF: „Wir haben uns entschieden, daß wir von uns aus die Eskalation zurücknehmen.“ Und der entscheidende Satz, der nach den jahrelangen Mißerfolgen in der Fahndung nicht nur in den Amtsstuben der Sicherheitsbehörden einige Erleichterung auslöst: „Daß heißt, wir werden Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat für den jetzt notwendigen Prozeß einstellen.“

Das in München aufgegebene Schreiben wird von den Sicherheitsbehörden als authentisch gewertet. Der „notwendige Prozeß“, den die Illegalen der RAF jetzt einleiten wollen, basiert auf einer kritischen Einschätzung der eigenen militanten Geschichte: Dreh- und Angelpunkt der Argumentation ist dabei der letzte Hungerstreik der RAF-Gefangenen im Frühjahr 1989. „Wir selbst waren damit konfrontiert, daß wir so, wie wir in den Jahren vor 89 Politik gemacht haben, politisch nicht stärker, sondern schwächer geworden sind.“ Zentraler Fehler sei gewesen, „daß wir viel zuwenig auf andere, die hier auch aufgestanden waren, zugegangen sind; und auf die, die noch nicht aufgestanden waren, gar nicht.“ Nach Jahren des Konzepts von der „Front in Europa“ räumt die RAF im Rückblick ein, politisch seit Jahren isoliert zu sein. Auch der eigene Avantgarde-Anspruch wird zur Disposition gestellt: „Aus unseren Erfahrungen und Diskussionen mit GenossInnen....steht für uns heute fest, daß die Guerilla in diesem Prozeß von Aufbau nicht im Mittelpunkt stehen kann.“

Im Frühjahr 1989 hatten die RAF- Gefangenen versucht, durch ihren zehnten Hungerstreik eine Zusammenlegung in größere Gruppen durchzusetzen. Zum ersten Mal räumten die Gefangenen in ihren Erklärungen dabei ein, daß es auf staatlicher Seite verschiedene Strömungen und Bestrebungen gibt, das Thema RAF mit einer politischen Lösung zu Ende zu bringen. Auf Seiten der RAF-Aktiven wurde dieser Hungerstreik auch erstmals nicht durch Anschläge und Attentate auf Politiker oder führende Köpfe der Wirtschaft begleitet.

Nach dem Hungerstreik konnte sich aber auch erstmals die Fraktion im Sicherheitsapparat Gehör verschaffen, die den Forderungen der Inhaftierten ein Stück entgegenkommen wollte, weil sie sich davon versprachen, der aktiven RAF ihr wichtigstes Rekrutierungsargument, die „Isolationsfolter“ an den Gefangenen, aus der Hand schlagen zu können. Zuvor hatten sich Intellektuelle, wie die Schriftsteller Walser und Enzensberger, die grüne Bundestagsabgeordnete Vollmer sowie die Geschwister des von der RAF ermordeten Abteilungsleiters im Auswärtigen Amt, Gerold von Braunmühl, um die Voraussetzungen für eine politische Lösung bemüht. Gestützt wurden diese Versuche durch Expertisen der Verfassungsschutzämter, die einen ideologischen Zerfall der RAF sahen und die Politiker wiederholt mit ihrer Einschätzung konfrontierten, daß es „ohne Gefangene keine RAF“ mehr gäbe.

Für eine politische Lösung setzte sich auch die nach dem tödlichen RAF-Attentat auf den Treuhand- Vorsitzenden Detlev Karsten Rohwedder vom 1. April 1991 ins Leben gerufene „Koordinierungsgruppe Terrorismus-Bekämpfung“ (KGT) ein. Unter Federführung von Justizminister Kinkel (FDP), der beim Hungerstreik als Staatssekretär mit den RAF-Gefangenen (ergebnislos) verhandelte, entwickelten die in der KGT vertretenen Spitzenbeamten aus dem Bundeskriminalamt, den Verfassungsschutzbehörden, der Bundesanwaltschaft und dem Innenministerium eine Initiative, nach der bis zu zehn langjährig einsitzende und haftunfähige RAF-Gefangene vorzeitig aus der Haft entlassen werden sollten. Die Initiative wurde schließlich — mit hoher politischer Rückendeckung aus Bonn — im Januar als „Kinkel-Initiative“ veröffentlicht.

In ihrem Schreiben hat die RAF auf die Kinkel-Initiative explizit Bezug genommen. Der Justizminister habe „das erste Mal von staatlicher Seite offen gemacht, daß es Fraktionen im Apparat gibt, die begriffen haben, daß sie Widerstand und gesellschaftliche Widersprüche nicht mit polizeilich-militärischen Mitteln in den Griff kriegen“. Moniert wird, daß bisher außer der Entlassung der haftunfähigen RAF-Gefangenen Claudia Wannersdorfer „nicht viel davon zu sehen ist“. Kritisiert wird auch die Inkonsequenz, mit der die Sicherheitsbehörden die Kinkel-Initiative umsetzen, insbesondere „die Ankündigung neuer Prozesse gegen Gefangene aufgrund der Kronzeugenaussagen“ der in der DDR ausgestiegenen früheren RAF-Mitglieder.

Die Frage, ob und wie die Pläne des Justizministers umgesetzt werden, ist der eigentlich zentrale Punkt der Erklärung. Eine „wichtige Weichenstellung“ sei, „ob sich in der nächsten Zeit was in diese Richtung bewegt“. Die „Rücknahme der Eskalation“ soll, so die Autoren, „diesen politischen Raum aufmachen“. Anderenfalls, so die offene Drohung, „wenn sie weiter auf Krieg gegen uns setzen, dann ist für uns die Phase des Zurücknehmens der Eskalation vorbei — wir werden uns das nicht tatenlos anschauen.“ Wolfgang Gast